2217441B-222E-4D04-A447-3C38855EA965Biasca, 02.07.2021

Die Nacht an der Hauptstraße hätte ruhiger sein können, aber auch schlimmer. Wieso gibt es eigentlich Mopeds? Steht hier der Wunsch nach Fortbewegung und Ruhestörung der Allgemeinheit in einem guten Verhältnis? Ich hoffe, dass sich dies mit zunehmend elektrischen Fahrzeugen bald mal erledigt hat.

Die Frau beim Frühstück ist immer noch genauso grimmig, wie gestern Abend. Es scheint also gar nicht an mir zu liegen, sondern Lebenseinstellung zu sein. Selbst die Gelegenheit, ihre Flunsch hinter einer Maske zu verbergen, nimmt sie nicht wahr. Dies alleine ist schon Grund genug, dieses Hotel/Restaurant zu meiden.

Irgendwie zieht es mich heute gar nicht so richtig hinaus und so ist es viertel vor zehn, bevor ich losgehe. Bei 22° und blauen Himmel gehe ich erst einmal einkaufen, da ich heute unterwegs nichts bekommen werde. Auch Wasser werde ich mehr mitnehmen müssen, da ich zwar am Fluss entlang wandere, aber laut Karte keine Ortschaften berühre.

Der Weg entlang des Ticino entpuppt sich als deutlich abwechslungsreicher und schattiger als befürchtet. Auch hier holt mich die Geschichte ein, denn ich wandere entlang an bombensicheren Geschützständen für Haubitzen mit immerhin 10 km Reichweite, die schon aus dem Ende des 19. Jahrhundert stammen (damals natürlich noch nicht mit Haubitze, sondern mit 12 mm Kanone).

Eigentlich sollte man meinen, es gäbe nichts einfacheres, als an einem Fluss entlang zu wandern. Ich schaffe es dennoch, eine Abzweigung nach rechts zu verpassen und wundere mich nur dass mein Weg immer schmaler und schmaler wird. Irgendwann meint Else von Komoot, dass die Tour neben mir läge. Oh! Wie ich halt so bin, gehe ich dennoch weiter, um dann an einer Fußeinmündung zu akzeptieren, dass es kein Durchkommen gibt. So darf ich dieses besonders schöne Wegstück zweimal genießen.

Dieser von der Seite einmündende Fluss bietet an der Brücke eine wunderbare Badestelle. (Wegen Badenixe lieber kein Foto…) Da es noch über 4 Stunden nach Bellinzona sind, ist mir das aber noch viel zu früh.

Ich wechsle auf die andere Seite des Ticino und nun geht es auf der Rückseite von kleineren und mittleren Industriebetrieben entlang, die vermutlich schon von der Vorderseite nicht wirklich sehenswert sind. Zum Glück endet das nach einiger Zeit und der Weg geht schön wie vorher weiter.

Auf Höhe von Claro (also nach gut 16 km) komme ich an meinen perfekten Rastplatz. Ein Brunnen und zwei Bänke im Halbschatten. Perfekt! Ich lasse mir Hummus, Karotten und Brötchen munden und genieße die Pause.

Je weiter ich mich Bellinzona nähere, desto sanfter und vollständiger bewaldet sind die Berghänge. Schroffen Fels sieht man hier nur, wenn sich der Mensch am Berg vergangen hat (z.B. Steinbruch).

Das Kieswerk darf ich in „Vollschutz“(Maske, Brille, Hut) passieren, da hier enorm Staub aufgewirbelt wird - in der Zentralschweiz hat man da Wasser gesprengt - hier scheint das nicht nötig. Den Gehörschutz nehme ich dann nächstes Mal wohl auch noch mit - die Steinbrecher machen nämlich nicht nur Staub, sondern auch ganz schön Lärm.

Plötzlich soll der Weg wegen Bauarbeiten gesperrt sein. Na toll! Eine richtige Umleitung ist nicht beschildert nur für Radfahrer zeigt ein Schild nach links. Die Gegend lässt sowieso gerade zu wünschen übrig, denn ich befinde mich im Industriegebiet. Jetzt auch noch eine Umleitung zu gehen, habe ich ja gar keine Lust. Also mal schauen, wie gesperrt das wirklich ist. Nach ein paar hundert Metern steht ein Auto auf dem Weg (nicht das auf dem Foto). Ein Bauarbeiter steckt den Kopf in ein tiefes Loch – ein anderer schaut dabei zu. Meine in perfektem italienisch vorgetragen und durch wildes Fingerzeigen unterstützte Frage „possibile passare“ wird mit einem „si si“ beantwortet. Ich glaube er sagt noch was von vorsichtig sein, aber da bin ich schon weiter.

Bald darauf erreiche ich die vom großen San Bernardino kommende Moesa, die in den Ticino mündet. Eigentlich wäre das doch die ideale Badestelle. Hier sind auch noch andere Menschen im Wasser. Gut bis zur Mitte ist das Wasser nur wadentief, danach geht es mir bis zu den Oberschenkeln und strömt deutlich. Ich werfe mich drei, vier Mal komplett rein und lasse mich jeweils ein paar Meter abtreiben. Es ist sehr erfrischend. Brrr! Mangels besserem Equipment funktioniere ich meinen einzigen Baumwollgegenstand, meine Schlafshort, zum Handtuch um. So kann ich zumindest halbwegs trocken und sandfrei in die Unterhose und die Socken einsteigen. Die andere Klamotten sind eh schweißnass. Ich hoffe, die Leute, die mich vom anderen Ufer aus beobachtet haben, hatten genauso viel Spaß, wie ich. Das war schön!

Direkt an der Mündung in den Ticino ist richtig viel los. Hier gibt es sogar eine Würstchenbude, einen Parkplatz und viele Einheimische, die sich am „Strand“ sonnen. Zwischen den ganzen Leuten mit Badesachen falle ich doch etwas auf und werde skeptisch beäugt, denn natürlich muss ich direkt bis an die Mündung vorgehen. Ein Mann, der offensichtlich nicht weiß wie ein Selfie funktioniert, und denkt, ich habe den Pizzo Claro aufgenommen (und nicht mich), spricht mich an. Zum Glück kann er deutsch und so unterhalten wir uns kurz.

Offiziell habe ich jetzt die Stadtgrenze von Bellinzona erreicht, aber das heißt noch nicht viel, denn die Stadt zieht sich über einige Kilometer.

Mit den Augen erkunde ich die linke Talseite, aber noch erschließt sich mir nicht, wo ich dort morgen in Richtung Lugano rüber soll.

Das mitten in der Stadt auf einem Felsrücken ruhende Castelgrande thront über dem Rest der Stadt. Gemeinsam mit zwei weitere Burgen sind sie UNESCO Weltkulturerbe und prägen das Stadtbild ungemein. Obwohl es mir für heute eigentlich reicht, muss ich da doch noch hoch. Ganz nach oben komme ich leider nicht mehr, denn es ist schon nach 17:00 Uhr, also steige ich auf der anderen Seite in die Altstadt ab. Die engen Gässlein haben ein ganz besonderes Flair. Richtig schön!

So - mir reicht es für heute - ich will Schatten und Ruhe.

Das Haus, in dem ich mein Zimmer gebucht habe, liegt in einem Wohnblock an der zweispurigen Ausfallstrasse. Der Check-In gestaltet sich interessant. Am Briefkasten sind Post-It‘s mit Namen und Zimmernummern. Meiner ist nicht dabei. Also rufe ich an und gleich drauf kommt ein Mann um die Ecke. In seinem kleinen Büchlein stehe ich nicht - aber er hat trotzdem ein Zimmer für mich. Alles ein bisschen seltsam. Zimmer mit Stahltür und 70-cm-Balkon, aber mit Wäschehänger, hatte ich noch nie. Und es gibt es einen Kühlschrank mit Scheiblettenkäse und Toastbrot, sowie eine Flasche Lidl-Wasser auf‘s Haus. Danke, aber Nein danke. Sogar eine Mikrowelle ist vorhanden. Eigentlich ist es für mich als Wanderer das ideale Quartier. Sogar eine Pizzeria gibt es im Haus und einen Coop in 300 Metern Entfernung.

Bleibt nur das komische Gefühl, wegen des recht seltsamen Typs, der fehlenden Reservierung und der z.T. sehr schlechten Bewertungen bei booking.

Während in den nahegelegenen Restaurants gut hörbar das Schweiz-Spiel verfolgt wird, lasse ich den Abend ruhig ausklingen. Die Hitze hat mich trotz Erfrischung in der Moesa ziemlich fertig gemacht. Morgen wartet eine knackige Tour über zwei Hügel, um auf die Luganer Seite zu kommen. Ich freu‘ mich!

Länge Auf Ab
28.5 km 97 Hm 181 Hm
 

 


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