Bensafrim, 28.04.2025
Gestern Abend nach der Dusche irre ich noch etwas durch den Ort, trinke in einem Restaurant mit unfreundlicher Bedienung einen Kaffee und ziehe dann weiter. Das Wetter ist zu schön, um nur in der Wohnung zu sitzen. Auf der Suche nach einem Restaurant fürs Abendessen, denn das unfreundliche Lokal ist für mich gestorben, habe ich keinen Erfolg und erreiche am Ortsausgang eine kleine Bar.
Der ziemlich alte, wettergegerbte Wirt steht halb sitzend und rauchend neben der Tür, drei weitere Männer sind drinnen an einem Tisch. Ein Fernseher mit einer Musiksendung, gut aussehenden Frauen und den Aufrufen, für ein Gewinnspiel anzurufen, läuft vor sich hin. In der Bar – Schweigen. Ich bestelle einen Galão und ein großes Wasser (das Wasser ist zum Mitnehmen). Ich setze mich und beobachte die Männer.
Stilles Verharren vor der Bierflasche. Warten.
Warten worauf? Dass der Tag vergeht? Das Leben?
Eine Frau kommt – füllt sich hinter der Theke ein Wasserglas mit Rotwein randvoll – murmelt etwas und verschwindet wieder. Die Stille bleibt.
Einige Minuten später erhebt sich einer der Männer, legt wortlos ein paar Münzen auf den Tresen, nickt dem Wirt freudlos zu und schlurft zu seinem alten Auto, das in meiner Jugendzeit vermutlich modern war.
Ich erdulde die Situation genau so lange, wie es dauert, meinen sehr heißen Galão ausreichend wertschätzend zu trinken und merke, wie sehr mich diese Stimmung runterzieht.
Wieder draußen, orientiere ich mich nach weiteren Sehenswürdigkeiten. Apotheke oder Friedhof stehen zur Auswahl. Spricht mich nicht an.
Etwas deprimiert trotte also wieder zurück Richtung Unterkunft und finde zufällig einen Laden, der auch am Sonntagabend um 19 Uhr noch geöffnet ist. Dort besorge ich mir Gemüse, Sardinencreme und Brot und verziehe mich in mein Appartement. Das schlichte Abendessen bessert die Stimmung etwas – das darauffolgende Telefonat noch mehr.
Gut ausgeruht erwache ich früh und bin sogar so motiviert, mich zu rasieren und möchte kurz duschen. Genügend Zeit habe ich ja, denn das Frühstück ist für 8 Uhr auf der Veranda vereinbart. Um 7:40 will ich gerade in die Dusche steigen, als es erst sanft, dann nachdrücklich an die Haustür klopft. „Was ist denn nun?“, denke ich, ziehen mir schnell etwas über, öffne die Tür, um dort die Hausherrin zu finden, die auf das Frühstück zeigt, und sich erkundigt, ob ich denn gut geschlafen habe. Da sage noch mal jemand etwas zu portugiesischer Pünktlichkeit, denke ich, und bejahe.
Ein junger Fahrer bringt mich wieder zum Startpunkt. Er hat keine Ahnung, wo er ist, er erkennt den Foia (höchster Berg) nicht, den ich auf der Fahrt begeistert ausdeute, kann aber Google Maps bedienen. Die Natur findet er angeblich schon schön, doch Wandern und Radfahren sind nicht sein Ding – nur Autofahren. Okay.
Ich starte also am gleichen Punkt, an dem ich gestern abgeholt wurde, und wandere, erst entlang des Stausees und dann auf einer Straße nach Westen, und entdecke erstmals in diesem Urlaub Kühe. Hierdurch wird mir erst so richtig bewusst, dass ich abgesehen von ein paar Hühnern bisher überhaupt noch keine Anzeichen von Viehzucht gesehen habe.
Dann biege ich in das Tal des Wolfes („Vale de Lobos“) ab, in dem es angeblich sehr heiß werden kann und in welchem traditionell Schafherden weiden. Da wenig Gefahr besteht, dass ein Wolf mich mit einem Schaf verwechseln könnte, gehe ich angstfrei weiter.
Heute bei blauem Himmel, mit einer angenehmen Brise und mit leichtem Gepäck hier zu sein, ist der reinste Genuss.
Das mit dem leichten Gepäck kann auch seine Tücken haben. Ich weiß nicht, welcher Eingebung ich heute Morgen gefolgt bin, denn ich war schon im Aufbruch, als ich noch einmal zurückgegangen bin, um Badelatschen, Handtuch und meinen Pulli einzupacken. Den Pulli habe ich bisher nicht benötigt, doch jetzt gelange ich an eine Furt, die trockenen Fußes nicht zu überqueren ist. Das Wasser steht etwa wadenhoch und seitliches Ausweichen ist nicht möglich. Piranhas gibt es keine – nur winzige Frösche springen munter herum.
Mit frisch gewaschenen Füßen folge ich nun weiter dem staubigen Weg entlang des Sobrosa-Flusses, erfreue mich an dem Gezwitscher der Vögel, dem Zirpen der Grillem und den bunten Blümchen.
Als ich mich Bensafim nähere, kommt ein immer stärker werdender Wind auf. Der Taxifahrer hatte davon gesprochen, dass das für diese Gegend üblich sei. Für mich ist es echt sonderbar, bei strahlend blauem Himmel in
einem Tal zu sein und fast weggeweht zu werden. Sehr merkwürdig.
Um kurz nach 14 Uhr bin ich in Bensafim und gehe zum Dorfplatz und wundere mich, warum ich kein Netz habe. Ich bestelle einen Galão, werde verwundert angeschaut und erfahre dann, dass es wohl in ganz Portugal und Spanien schon seit dem späten Vormittag einen globalen Stromausfall gibt. Oha! An zu wenig Wind kann es nicht liegen.
Aus Verzweiflung trinke ich ein Cola Zero und mache mich auf den Weg zum Laden von gestern, um mir sicherheitshalber Wasser, Brot, etwas Gemüse und Dosenfisch zu besorgen. Der Laden ist geschlossen.
Also gehe ich zur Wohnung – noch gibt es Wasser – fülle zwei Flaschen mit Leitungswasser, wundere mich, dass es warmes Wasser gibt und nehme die kürzeste Dusche überhaupt. Hauptsache Staub ab.
Ich schlafe bis 17 Uhr. Noch kein Strom. Ich will in den Ort. Die Gastgeber sind da. Ich verstehe, dass ganz Europa keinen Strom hat. Ganz Europa? Angeblich zumindest Portugal, Spanien und Frankreich. Angeblich ein Cyberangriff. Angeblich hat Nord-Frankreich schon wieder Strom. Es könnte noch ein paar Stunden dauern. Als ein älterer Mann auf Portugiesisch „3 Tage“ sagt, übersetzt die Frau, die Englisch spricht, das nicht für mich.
Vor dem anderen Laden des Orts stehen mehrere Menschen. Männer mit Bierflaschen (damit scheint man viele Probleme lösen zu können) – andere wollen in den Laden. Angeblich ist geschlossen. Zwei französisch sprechende Menschen (Touristen?) ziehen erfolglos ab.
Nachdem man mir schon einmal gesagt hat, dass geschlossen sei, mache ich noch einen Anlauf. Ich habe nämlich nichts zu essen. Das Wort „Cash“ öffnet mir die Tür doch. Ich finde in dem dämmrigen Laden zwei Tomaten, eine Gurke und ein paar Kekse. Brot ist aus und Fischkonserven finde ich in der angespannten Situation nicht.
Ich mache mich auf den Rückweg. In der Nähe der Unterkunft ist eine Snack-Bar noch geöffnet und hat sogar noch ein Käse-Sandwich, ein Bier und eine Flasche Wasser. So kann ich morgen mindestens Wasser transportieren, denn im Zimmer habe ich einen 5 l Kanister stehen.
Ich fahre mein Telefon herunter, um Strom zu sparen, denn ohne bin ich ziemlich aufgeschmissen und beginne, mir Notizen auf Papier zu machen.
Obwohl das Wetter und die Landschaft unverändert sind, verändert die Ungewissheit über die Situation und wie sie sich entwickeln wird, alles! Das Problem ist auch nicht das Ausbleiben des Stroms, sondern nicht zu wissen, für wie lange das sein wird, was der Umfang und was die Ursache und die Konsequenzen sind. Portugal gilt meines Wissens als ein Land mit stabilem Netz und ist in den europäischen Verbund eingebunden. Ich bin nicht in Nepal und doch ist der Strom seit Stunden weg. Besorgniserregend!
Und so beginnt das Gedankenkarussell sich zu drehen. Ist das eine Sache von ein paar Stunden oder der Beginn des globalen Blackouts, der in kürzester Zeit zur Anarchie und dem Untergang der zivilisierten Welt führt? Mehrere (deprimierende und vermutlich realistische) Bücher habe ich dazu schon gelesen.
Um 19 Uhr fließt das Wasser nur noch als dünnes Rinnsal – vermutlich ist jetzt der Druckbehälter o.ä., der den Ort versorgt, jetzt leer.
Ich lege mich hin. Das Denken lässt sich nicht ausschalten. Ich versuche, die Gedanken mal in die positive Richtung zu schieben und zu spüren, was das mit mir macht. Mal lasse ich die Angst zu, dass heute das Ende der mir bekannten, sicheren, geordneten und privilegierten Welt ist.
Was werde ich ganz unmittelbar morgen früh tun? Falls es Strom gibt – und falls nicht? Habe ich Wasser? Was habe ich zu essen und wo kann ich noch etwas auftreiben? Soll ich weiter? Kann ich den Weg und die nächste Unterkunft ohne Strom finden? (Die Adresse habe ich auf Papier). Ergibt es Sinn? Wäre es besser, hier auszuharren, bis …? Was, wenn …
Meine Gefühlswelt ist mir zu privat, um sie hier zu teilen, doch dass es mir mit der Situation nicht gut geht, ist stark untertrieben.
Ich schlafe unruhig, nicht nur, weil ich gar nicht müde bin. Um 23 Uhr schaue ich auf die Uhr. Alles ist unverändert, finster und still. Jetzt schon 12 Stunden ohne Strom und Information. Dann muss es richtig schlimm sein?!
Um 23:04 Uhr geht das Licht an – der Kühlschrank brummt.
Freude durchströmt mich. Sofort springe ich auf und hänge das Handy und die Uhr an das Ladegerät. Netz gibt es weiterhin nicht, doch immerhin schon Strom. Gerade bin ich zuversichtlich, dass alles gut wird.
Um Mitternacht immer noch kein Netz und daher immer noch Ungewissheit über Ursache und Konsequenzen. Putin, Trump, irgendwer anders, technisches Versagen/Unglück oder Unfähigkeit?
Zuversichtlich, lege ich mich wieder hin, doch kann ich das Licht nicht ausschalten – ich halte die Ungewissheit nicht aus und muss ein kleines Licht anlassen, damit ich jederzeit erkenne, dass der Strom noch da ist.
(29.04.2025) - 0:20 Uhr – ich habe Netz und kann lesen, dass „nur“ die Iberische Halbinsel betroffen war und ein Cyberangriff eher nicht die Ursache war.
Ich schreibe den mir wichtigen Menschen und lege mich wieder hin.
Fazit: Ein sehr dunkler Tag.

Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
15.5 km | 124 Hm | 193 Hm |