GR13 - Via Algarviana (PT) - Überblick
Dies sind die schon gewanderten Etappen:

Etappen | Länge | Auf | Ab |
---|---|---|---|
15 | 334.5 km | 6816 Hm | 6848 Hm |
Dies sind die schon gewanderten Etappen:
Etappen | Länge | Auf | Ab |
---|---|---|---|
15 | 334.5 km | 6816 Hm | 6848 Hm |
Herzlichen Dank, für die schönen Rückmeldungen, die mich über WhatApp und Signal unter +4917650750259 erreichen und auf meiner Reise begleiten.
Vila do Bispo, 30.04.2025
Die Nacht über und bis in die frühen Morgenstunden hat es geregnet. Die Natur kann es gut gebrauchen, doch als ich aufstehe, ist der Regen vorbei.
Ich begebe mich in das „Haupthaus“, in dem das Frühstück stattfindet. Dort ist Platz für 24 Personen, doch bisher sind nur knapp zwei Handvoll deutscher (mehrheitlich bayerischer) Wanderer dort. Ich wünschte mir, ich könnte sie gegen Portugiesen tauschen – denn in der Lautstärke gibt sich das wenig –, doch dann könnte ich den Blödsinn, den sie absondern, zwar hören, aber immerhin nicht verstehen.
Jedem Klischee folgend, kommen etwas später dann die Italiener. Es wird noch lauter, doch nun verstehe ich bei dem Geräuschpegel zumindest gar nichts mehr.
Als der Raum schließlich mit 20 kommunikativen Menschen und einer laut rumpelnden und zischenden Kaffeemaschine gefüllt ist, nehme ich wahr, wie wenig die Situation zu meiner Entspannung beiträgt. Ich überlege, möglichst bald zu gehen, doch glücklicherweise verlassen die laut schnatternden Early Birds den Raum bald darauf.
Diesen Urlaub scheint es nur Extreme zu geben: entweder völlig allein zu sein oder mit zu vielen Menschen drumherum.
Es ist nach 10 Uhr, als ich die Ortschaft in der gleichen Richtung, in der ich sie gestern betreten habe, verlasse und mich auf die letzte Etappe begebe. Das Ziel ist das gleiche wie auf dem Fischerpfad, doch der Weg ist ein anderer.
Eine knappe Stunde lang gehe ich jetzt gemeinsam mit einem jungen Mann aus Deutschland, der eine Wanderwoche entlang des Fischerpfads und der historischen Route verbringt und dessen Ziel Sagres ist – eine Unterhaltung, die echt gut tut.
Bald darauf wählt er einen anderen Weg nach Sagres, und ich wandere wieder alleine durch die fast ebene Landschaft, vorbei an etlichen großen, verlassenen landwirtschaftlichen Gebäuden. Für Lost-Place-Liebhaber bestimmt ein Traum.
Der Leuchtturm des Kap St. Vinzenz (Cabo de São Vicente) kommt näher und näher, und obwohl der Weg noch ein paar Haken schlägt, um nicht ständig an der Fahrstraße entlangzuführen, erreiche ich noch vor 14 Uhr das Ende der Via Algarviana und den südwestlichsten Zipfel Portugals. Apropos Zipfel: Hier gibt es immer noch die letzte Bratwurst vor Amerika, doch obwohl sie überraschenderweise tatsächlich lecker riecht, schlage ich das Angebot auch dieses Mal aus.
Als ich gerade ein Zielfoto am Klippenrand mache, komme ich mit einem sympathischen Deutschen ins Gespräch. Er ist ein paar Jahre älter als ich und hat mit seinem Arbeitgeber den Deal geschlossen, über vier Jahre 75 % des Gehalts zu bekommen und nun das vierte Jahr durch die Gegend zu reisen. Wir unterhalten uns fast eine halbe Stunde – ein sehr inspirierendes Gespräch.
Ich hätte die Möglichkeit, in gut zweieinhalb Stunden mit dem Bus nach Sagres zu fahren oder bei traumhaftem Wetter den Weg oberhalb der Steilküste zu Fuß zurückzulegen. Klar – das lange erste Stück verläuft auf der Straße, doch danach über schöne Pfade direkt oberhalb des Wassers. Keine schwierige Entscheidung.
Obwohl mitten auf dem Weg eine Wolke aufzieht und ein paar Tropfen absondert – und es viel zu kalt und windig ist, um am Praia do Bélice ins Wasser zu gehen –, kommt bei mir auf den letzten paar sandigen Kilometern noch mal richtiges Fischerpfad-Feeling auf, was ich sehr genieße. (Zur Frage, welcher Weg schöner war, schreibe ich noch separat).
Im Ort muss ich nur kurz suchen, bevor ich die angegebene Adresse finde. Eine alte, gebrechliche Frau führt mich langsam zu meinem großen AirBnB-Apartment mit zwei Schlafzimmern und Platz für bis zu sechs Personen. Sie verwendet einige Zeit darauf, mich in das Verriegeln der Haustür einzuweisen – was kein Fehler ist, denn das System ist etwas ungewöhnlich.
Die Grundausstattung der Wohnung besteht ausschließlich aus Salz und Tabasco. Mir ist das ziemlich egal, doch meist habe ich in der Vergangenheit ein paar Teebeutel, Kaffeefilter für die Kaffeemaschine und ein paar Tabs für die Spülmaschine vorgefunden – und mich gefreut.
Nach dem Shoppen mache ich noch einen Abstecher zum spektakulären Strand Praia de Mareta, an dem ich gerne noch baden würde. Anders als an der Nordsee, wo bei Ebbe das Meer komplett verschwindet, verschwindet hier bei Flut der Sandstrand komplett, und das Wasser schlägt direkt ans felsige Ufer. Nur in einem sehr kleinen Bereich bleiben wenige Meter, die von mutigen Surfern genutzt werden, um ins Wasser zu gelangen.
Da es windig-kühl ist und ich nur im Hemd unterwegs bin, muss ich nun erst meine Einkäufe in die Wohnung bringen und dann mit Pullover zum Abendessen starten. Heute verspüre ich keine Eile, zu duschen.
Ich esse in einem Restaurant, das nur wenige Meter von meiner Unterkunft entfernt ist und in dem ich um 19 Uhr der einzige Gast bin. Ich hoffe, das ist kein schlechtes Zeichen.
Als Vorspeise gibt es eine Brühe mit altem Brot, Koriander und viel frischem Knoblauch – nicht unbedingt flirtfreundlich, aber sehr lecker.
Danach ein Omelette – völlig in Ordnung, aber es reißt mich nicht vom Hocker.
Es folgt noch der obligate Galão zum Abschluss – und damit endet nun auch meine Berichterstattung zur Via Algarviana (GR13).
Fazit des Tages: Ich bin am Ziel angekommen – glücklich, es geschafft zu haben.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
24.2 km | 149 Hm | 202 Hm |
Bensafrim, 26.04.2025
Auch nachdem der Strom wieder da ist und erste Berichte zumindest keine militärischen Ursachen vermuten lassen, kann ich kaum schlafen.
Am Morgen führt mich der erste Gang zum Wasserhahn, aus dem es nun wieder sprudelt.
Als die Vermieterin um 8 Uhr das Frühstück auf den Tisch stellt, als sei dies die normalste Sache der Welt und wieder geht, kann ich die Tränen nicht zurückhalten, so sehr haben mich meine Gedanken aus dem Gleichgewicht gebracht.
Ich funktioniere und werde weiter wandern, doch wie im Nachgang die Strom-Manager hoffentlich analysieren, wie es zu diesem länderübergreifenden Blackout kommen konnte, den es gar nicht hätte geben dürfen, werde ich mich im Nachgang damit beschäftigen dürfen, wieso mir so schnell die Zuversicht abhandenkommt und wie ich damit zukünftig umgehen möchte. Mehr möchte ich hier dazu nicht schreiben, doch ich habe meine Situation so wahrgenommen, dass ich in einem fremden Land bin – völlig auf mich alleine gestellt, in dem ich mich weder verständigen noch ohne Strom navigieren kann und für Wasser und Verpflegung 100 % extern abhängig bin – und keine Ahnung habe, was gerade abgeht.
Erst um 9:30 Uhr starte ich auf die heutige lange Etappe. Es ist windig, kühl und der Himmel zeigt sich als eine einzige große, dunkle Fläche. Ich nehme es als Geschenk, denn mit dieser Witterung sollte ich deutlich besser klarkommen als mit Hitze und brennender Sonne.
Erst auf breiten Wegen durch die Ebene, dann durch einen wunderschönen Korkeichenwald erreiche ich am späten Vormittag den Ort Barão de São João. Auf dem dahinter liegenden Hügel stehen acht Windräder und drehen sich trotz Wind nicht. Heute finde ich das beängstigend und schaue gleich nach, ob ich noch Mobilfunknetz habe – für mich unterwegs der einzige Indikator, ob es vielleicht schon wieder einen Blackout gibt. Uff – Entwarnung – ich habe Netz.
In dem Ort gibt es einen kleinen Laden und mehrere Cafés. Ich lasse mich schon im Ersten nieder, übersetze mir die rote, fette Laufschrift des obligaten Fernsehers, bei der es natürlich um den Stromausfall geht, überarbeite meinen Bericht von gestern und stelle ihn online. Eine gute Stunde und drei Galão später geht es mir deutlich besser und ich mache mich wieder auf den Weg. 23 km liegen noch vor mir, doch ich fühle mich ziemlich gut.
Ein paar Kilometer später kommt auch heute wieder eine Furt, die aufgrund des Wasserstands nicht einfach durchquert werden kann. Ich versuche es im dornigen Gestrüpp nebendran, doch keine Chance. Mit Einsatz der Stöcke und unter äußerster Vorsicht kann ich mich dann doch noch am Rand hindurchtasten, wobei das Wasser teilweise nur Millimeter entfernt ist, oben in den Schuh hereinzuschwappen. So langsam habe ich echt keine Lust mehr auf solche Durchquerungen. Zwei betonierte Trittsteine oder ein paar normale Steine wären alles, was es bräuchte, damit Wanderer problemlos hinübergehen könnten.
Inzwischen hat sich das Wetter so verändert, dass ich bei blauem Himmel mit großen Kumuluswolken und stetigem Wind bequem durch die Hügellandschaft wandern kann. Zistrosen auf bunten Blumenwiesen, dazwischen einzelne Korkeichen und Eukalyptusbäume, machen es zur reinsten Freude.
Etwa 10 km vor dem Tagesziel darf ich direkt unter (sich drehenden) Windrädern entlangwandern und als der Weg abknickt, kann ich sowohl den markanten Wasserturm von Vila do Bispo in der Nähe, wie auch den Leuchtturm am Kap Sankt Vincent in der Ferne ausmachen. Selbst mein morgiger Übernachtungsort Sagres direkt daneben winkt mir entgegen. Ein gutes Gefühl.
Weiter geht es nun überwiegend auf Teerstraßen, die das Vorankommen beschleunigen, doch nicht unbedingt freundlich zu den Füßen sind. An einem schlecht markierten Kreisverkehr nehme ich kurzfristig die falsche Ausfahrt, doch kann dies durch baldige Umkehr korrigieren. Gegen Ende zieht sich der Weg und schlägt noch einen unverständlichen Haken, doch das ist mir heute egal.
Ich erreiche die Stadt des Bischofs (Vila do Bispo), die ich schon auf dem Fischerpfad besuchen durfte und mit der ich angenehme Erinnerungen verbinde. Heute handelt es sich also um ein Wiedersehen.
Ich checke problemlos und freundlich in meine Unterkunft ein, bekomme eine Restaurantempfehlung und werde dann von der netten Rezeptionistin zu meinem drei Minuten entfernten Zimmer gebracht. Es befindet sich schräg gegenüber meinem Appartement von letztem Jahr und ist ein Vielfaches schöner. Richtig klasse!
Nachdem ich mir in der traumhaften Dusche den Staub und Schweiß des Tages abgewaschen habe, gehe ich in die Restaurantempfehlung. Hier hatte man mich letztes Jahr ohne Reservierung weggeschickt – heute habe ich mehr Glück. Ich esse einen traumhaft angemachten Salat und eine hervorragende vegetarische Pizza. Insgesamt ist man hier auf vegan/vegetarische Gerichte und Pizzen spezialisiert – und das nicht null-acht-fuffzehn, sondern unglaublich kreativ und raffiniert.
Da die Welt nun doch noch nicht untergegangen ist, gönne ich mir sogar den Spezial-Nachtisch des Tages.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
30.4 km | 485 Hm | 435 Hm |
Heute funktioniert alles wieder besagt die Schrift auf dem Laufband. Zum Hintergrund:
Am 28. April 2025 kam es in Portugal und Spanien zu einem der schwersten Stromausfälle in Europa seit Jahrzehnten. Rund 60 % der Stromversorgung Spaniens brach innerhalb von Sekunden zusammen, auch Portugal war landesweit betroffen. Kurzzeitig wirkten sich die Folgen bis nach Andorra und Südwestfrankreich aus. Die genaue Ursache ist noch unklar, technische Defekte oder atmosphärische Phänomene gelten als wahrscheinlich – ein Cyberangriff wurde ausgeschlossen.
Ein Stromausfall dieser Größenordnung gilt als äußerst selten und hat es in diesem Ausmaß in Westeuropa bislang kaum gegeben. In Portugal war die Versorgung bis zum Abend größtenteils wiederhergestellt.
Quellen: The Guardian (29.04.2025), AP News (28.04.2025), dpa/Welt.de (28.04.2025), El País (29.04.2025), The Times (29.04.2025).
Bensafrim, 28.04.2025
Gestern Abend nach der Dusche irre ich noch etwas durch den Ort, trinke in einem Restaurant mit unfreundlicher Bedienung einen Kaffee und ziehe dann weiter. Das Wetter ist zu schön, um nur in der Wohnung zu sitzen. Auf der Suche nach einem Restaurant fürs Abendessen, denn das unfreundliche Lokal ist für mich gestorben, habe ich keinen Erfolg und erreiche am Ortsausgang eine kleine Bar.
Der ziemlich alte, wettergegerbte Wirt steht halb sitzend und rauchend neben der Tür, drei weitere Männer sind drinnen an einem Tisch. Ein Fernseher mit einer Musiksendung, gut aussehenden Frauen und den Aufrufen, für ein Gewinnspiel anzurufen, läuft vor sich hin. In der Bar – Schweigen. Ich bestelle einen Galão und ein großes Wasser (das Wasser ist zum Mitnehmen). Ich setze mich und beobachte die Männer.
Stilles Verharren vor der Bierflasche. Warten.
Warten worauf? Dass der Tag vergeht? Das Leben?
Eine Frau kommt – füllt sich hinter der Theke ein Wasserglas mit Rotwein randvoll – murmelt etwas und verschwindet wieder. Die Stille bleibt.
Einige Minuten später erhebt sich einer der Männer, legt wortlos ein paar Münzen auf den Tresen, nickt dem Wirt freudlos zu und schlurft zu seinem alten Auto, das in meiner Jugendzeit vermutlich modern war.
Ich erdulde die Situation genau so lange, wie es dauert, meinen sehr heißen Galão ausreichend wertschätzend zu trinken und merke, wie sehr mich diese Stimmung runterzieht.
Wieder draußen, orientiere ich mich nach weiteren Sehenswürdigkeiten. Apotheke oder Friedhof stehen zur Auswahl. Spricht mich nicht an.
Etwas deprimiert trotte also wieder zurück Richtung Unterkunft und finde zufällig einen Laden, der auch am Sonntagabend um 19 Uhr noch geöffnet ist. Dort besorge ich mir Gemüse, Sardinencreme und Brot und verziehe mich in mein Appartement. Das schlichte Abendessen bessert die Stimmung etwas – das darauffolgende Telefonat noch mehr.
Gut ausgeruht erwache ich früh und bin sogar so motiviert, mich zu rasieren und möchte kurz duschen. Genügend Zeit habe ich ja, denn das Frühstück ist für 8 Uhr auf der Veranda vereinbart. Um 7:40 will ich gerade in die Dusche steigen, als es erst sanft, dann nachdrücklich an die Haustür klopft. „Was ist denn nun?“, denke ich, ziehen mir schnell etwas über, öffne die Tür, um dort die Hausherrin zu finden, die auf das Frühstück zeigt, und sich erkundigt, ob ich denn gut geschlafen habe. Da sage noch mal jemand etwas zu portugiesischer Pünktlichkeit, denke ich, und bejahe.
Ein junger Fahrer bringt mich wieder zum Startpunkt. Er hat keine Ahnung, wo er ist, er erkennt den Foia (höchster Berg) nicht, den ich auf der Fahrt begeistert ausdeute, kann aber Google Maps bedienen. Die Natur findet er angeblich schon schön, doch Wandern und Radfahren sind nicht sein Ding – nur Autofahren. Okay.
Ich starte also am gleichen Punkt, an dem ich gestern abgeholt wurde, und wandere, erst entlang des Stausees und dann auf einer Straße nach Westen, und entdecke erstmals in diesem Urlaub Kühe. Hierdurch wird mir erst so richtig bewusst, dass ich abgesehen von ein paar Hühnern bisher überhaupt noch keine Anzeichen von Viehzucht gesehen habe.
Dann biege ich in das Tal des Wolfes („Vale de Lobos“) ab, in dem es angeblich sehr heiß werden kann und in welchem traditionell Schafherden weiden. Da wenig Gefahr besteht, dass ein Wolf mich mit einem Schaf verwechseln könnte, gehe ich angstfrei weiter.
Heute bei blauem Himmel, mit einer angenehmen Brise und mit leichtem Gepäck hier zu sein, ist der reinste Genuss.
Das mit dem leichten Gepäck kann auch seine Tücken haben. Ich weiß nicht, welcher Eingebung ich heute Morgen gefolgt bin, denn ich war schon im Aufbruch, als ich noch einmal zurückgegangen bin, um Badelatschen, Handtuch und meinen Pulli einzupacken. Den Pulli habe ich bisher nicht benötigt, doch jetzt gelange ich an eine Furt, die trockenen Fußes nicht zu überqueren ist. Das Wasser steht etwa wadenhoch und seitliches Ausweichen ist nicht möglich. Piranhas gibt es keine – nur winzige Frösche springen munter herum.
Mit frisch gewaschenen Füßen folge ich nun weiter dem staubigen Weg entlang des Sobrosa-Flusses, erfreue mich an dem Gezwitscher der Vögel, dem Zirpen der Grillem und den bunten Blümchen.
Als ich mich Bensafim nähere, kommt ein immer stärker werdender Wind auf. Der Taxifahrer hatte davon gesprochen, dass das für diese Gegend üblich sei. Für mich ist es echt sonderbar, bei strahlend blauem Himmel in
einem Tal zu sein und fast weggeweht zu werden. Sehr merkwürdig.
Um kurz nach 14 Uhr bin ich in Bensafim und gehe zum Dorfplatz und wundere mich, warum ich kein Netz habe. Ich bestelle einen Galão, werde verwundert angeschaut und erfahre dann, dass es wohl in ganz Portugal und Spanien schon seit dem späten Vormittag einen globalen Stromausfall gibt. Oha! An zu wenig Wind kann es nicht liegen.
Aus Verzweiflung trinke ich ein Cola Zero und mache mich auf den Weg zum Laden von gestern, um mir sicherheitshalber Wasser, Brot, etwas Gemüse und Dosenfisch zu besorgen. Der Laden ist geschlossen.
Also gehe ich zur Wohnung – noch gibt es Wasser – fülle zwei Flaschen mit Leitungswasser, wundere mich, dass es warmes Wasser gibt und nehme die kürzeste Dusche überhaupt. Hauptsache Staub ab.
Ich schlafe bis 17 Uhr. Noch kein Strom. Ich will in den Ort. Die Gastgeber sind da. Ich verstehe, dass ganz Europa keinen Strom hat. Ganz Europa? Angeblich zumindest Portugal, Spanien und Frankreich. Angeblich ein Cyberangriff. Angeblich hat Nord-Frankreich schon wieder Strom. Es könnte noch ein paar Stunden dauern. Als ein älterer Mann auf Portugiesisch „3 Tage“ sagt, übersetzt die Frau, die Englisch spricht, das nicht für mich.
Vor dem anderen Laden des Orts stehen mehrere Menschen. Männer mit Bierflaschen (damit scheint man viele Probleme lösen zu können) – andere wollen in den Laden. Angeblich ist geschlossen. Zwei französisch sprechende Menschen (Touristen?) ziehen erfolglos ab.
Nachdem man mir schon einmal gesagt hat, dass geschlossen sei, mache ich noch einen Anlauf. Ich habe nämlich nichts zu essen. Das Wort „Cash“ öffnet mir die Tür doch. Ich finde in dem dämmrigen Laden zwei Tomaten, eine Gurke und ein paar Kekse. Brot ist aus und Fischkonserven finde ich in der angespannten Situation nicht.
Ich mache mich auf den Rückweg. In der Nähe der Unterkunft ist eine Snack-Bar noch geöffnet und hat sogar noch ein Käse-Sandwich, ein Bier und eine Flasche Wasser. So kann ich morgen mindestens Wasser transportieren, denn im Zimmer habe ich einen 5 l Kanister stehen.
Ich fahre mein Telefon herunter, um Strom zu sparen, denn ohne bin ich ziemlich aufgeschmissen und beginne, mir Notizen auf Papier zu machen.
Obwohl das Wetter und die Landschaft unverändert sind, verändert die Ungewissheit über die Situation und wie sie sich entwickeln wird, alles! Das Problem ist auch nicht das Ausbleiben des Stroms, sondern nicht zu wissen, für wie lange das sein wird, was der Umfang und was die Ursache und die Konsequenzen sind. Portugal gilt meines Wissens als ein Land mit stabilem Netz und ist in den europäischen Verbund eingebunden. Ich bin nicht in Nepal und doch ist der Strom seit Stunden weg. Besorgniserregend!
Und so beginnt das Gedankenkarussell sich zu drehen. Ist das eine Sache von ein paar Stunden oder der Beginn des globalen Blackouts, der in kürzester Zeit zur Anarchie und dem Untergang der zivilisierten Welt führt? Mehrere (deprimierende und vermutlich realistische) Bücher habe ich dazu schon gelesen.
Um 19 Uhr fließt das Wasser nur noch als dünnes Rinnsal – vermutlich ist jetzt der Druckbehälter o.ä., der den Ort versorgt, jetzt leer.
Ich lege mich hin. Das Denken lässt sich nicht ausschalten. Ich versuche, die Gedanken mal in die positive Richtung zu schieben und zu spüren, was das mit mir macht. Mal lasse ich die Angst zu, dass heute das Ende der mir bekannten, sicheren, geordneten und privilegierten Welt ist.
Was werde ich ganz unmittelbar morgen früh tun? Falls es Strom gibt – und falls nicht? Habe ich Wasser? Was habe ich zu essen und wo kann ich noch etwas auftreiben? Soll ich weiter? Kann ich den Weg und die nächste Unterkunft ohne Strom finden? (Die Adresse habe ich auf Papier). Ergibt es Sinn? Wäre es besser, hier auszuharren, bis …? Was, wenn …
Meine Gefühlswelt ist mir zu privat, um sie hier zu teilen, doch dass es mir mit der Situation nicht gut geht, ist stark untertrieben.
Ich schlafe unruhig, nicht nur, weil ich gar nicht müde bin. Um 23 Uhr schaue ich auf die Uhr. Alles ist unverändert, finster und still. Jetzt schon 12 Stunden ohne Strom und Information. Dann muss es richtig schlimm sein?!
Um 23:04 Uhr geht das Licht an – der Kühlschrank brummt.
Freude durchströmt mich. Sofort springe ich auf und hänge das Handy und die Uhr an das Ladegerät. Netz gibt es weiterhin nicht, doch immerhin schon Strom. Gerade bin ich zuversichtlich, dass alles gut wird.
Um Mitternacht immer noch kein Netz und daher immer noch Ungewissheit über Ursache und Konsequenzen. Putin, Trump, irgendwer anders, technisches Versagen/Unglück oder Unfähigkeit?
Zuversichtlich, lege ich mich wieder hin, doch kann ich das Licht nicht ausschalten – ich halte die Ungewissheit nicht aus und muss ein kleines Licht anlassen, damit ich jederzeit erkenne, dass der Strom noch da ist.
(29.04.2025) - 0:20 Uhr – ich habe Netz und kann lesen, dass „nur“ die Iberische Halbinsel betroffen war und ein Cyberangriff eher nicht die Ursache war.
Ich schreibe den mir wichtigen Menschen und lege mich wieder hin.
Fazit: Ein sehr dunkler Tag.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
15.5 km | 124 Hm | 193 Hm |
Marmelete, 27.04.2025
Die Nacht war nur mittelprächtig, doch lang und erholsam genug, um ausgeruht in den Tag zu starten. Während ich bisher in Bezug auf die Arbeit komplett abschalten konnte, trieben mich heute Nacht Gedanken dazu um – vielleicht, weil das Ende der Tour in Sicht kommt?
Der Hahn, der mir schon in den frühen Morgenstunden wiederholt seine Begeisterung über den nahenden Tagesbeginn freudig kundtat, hätte besser in der Nähe der Frau wohnen sollen, die für das Frühstück zuständig war und um 8 Uhr noch gänzlich unvorbereitet war, sich dafür aber tausend Mal für ihr Verschlafen entschuldigte.
Ich reagiere recht entspannt, doch es bringt meine Morgenroutine durcheinander, da ich nicht einfach später starten kann, sondern fix um 9 Uhr mit dem Taxi abgeholt werde.
Der gut Englisch sprechende Fahrer ist pünktlich da und fährt mich die paar Kilometer nach Marmelete. Wir tauschen auch die Koordinaten des Abhol-Treffpunkts aus, denn dieser ist außerhalb einer Ortschaft, und die Angabe „near a bridge after Corsino“ entpuppt sich als eine Wegkreuzung im Nirgendwo, bevor ich Corsino erreiche. Gänzlich unbedarft sollte man sich auf die Organisation meines lokalen Anbieters also nicht verlassen.
Ferner bitte ich um Abholung schon um 15 Uhr statt erst um 16 Uhr. Auch so ist mir schleierhaft, wie ich so langsam wandern soll.
Daher gönne ich mir im Café in Marmelete erst mal einen Galão, denn der Kaffee in der Unterkunft war gar nicht nach meinem Geschmack.
In dem kleinen Laden hole ich mir noch ein Wasser, gönne mir den Luxus, kein Chlorwasser trinken zu müssen, und treffe auf den Zelt-Wanderer, den ich vor ein paar Tagen schon mal getroffen hatte. Er hat noch Größeres vor, denn er möchte in Vila do Bispo nach Norden abbiegen und dort weiterwandern, und da er nun ein Rückfahrticket gebucht hat, muss er jeden Tag 30 km vorwärtskommen.
Ich bin froh, dass ich die abschließenden vier Etappen vor mir habe, möchte sie genießen und freue mich gleichzeitig darauf, heute in einer Woche hoffentlich wieder wohlbehalten zu Hause einzutreffen.
Kurz außerhalb des Ortes passt die Markierung nicht mehr zu meinem Track sowie der Beschreibung und Karte auf der offiziellen Webseite. Ich folge zunächst der Markierung, um an der nächsten unmarkierten Kreuzung umzudrehen und lieber meinem Track zu folgen. Ich bin begeistert, dass es zwölf Tage lang nicht zu solchen Situationen gekommen ist und der Weg hervorragend markiert war.
Entspannt wandere ich durch die mit Zistrosen und Erdbeerbäumen bewachsene Hügellandschaft. Am Horizont erblicke ich plötzlich den Atlantik und davor die riesenlange Sandstrandbucht bei Lagos. Ich verstehe nicht genau, wieso mich dieser Anblick so überwältigt – doch er tut es dennoch.
Wenig später holt mich der Wanderer ein, und ich beschleunige mein Tempo leicht, damit wir uns gut unterhalten können. So erfahre ich, dass er aus Dänemark kommt und im Sommerhalbjahr im Tourismus arbeitet und unter anderem Kreuzfahrtschiff-Gäste auf Ausflügen betreut – das Winterhalbjahr dagegen für Reisen und Wandern nutzt. Er ist Ende dreißig und wir finden viele weitere interessante Themen. Zwischendurch kehren wir auch in einer winzigen Bar ein, und ich lerne, wie jemand, der auf Menschen zugehen kann, damit umzugehen vermag.
Kurz vor meinem Abholpunkt bleibe ich an einer schattigen Stelle zurück, obwohl ich einerseits gerne weitergewandert wäre und andererseits die Unterhaltung als sehr angenehm empfinde. Doch wenn ich heute schon bis Bensafrim durchwandere – was mache ich dann morgen? Und so bleibe ich und lege mich in den Schatten.
Der Transfer in meine Unterkunft in Bensafrim klappt problemlos, und ich verschiebe dabei auch gleich die Abholzeit für morgen um eine halbe Stunde nach hinten, um stressfrei frühstücken zu können, denn morgen wird wieder ein sehr entspannter Wandertag.
Das Appartement, in dem ich nun zwei Nächte verbringe, ist riesig und für vier Personen ausgelegt. Zuerst einmal wasche ich den Staub aus meinen Klamotten und stelle mich danach unter die Dusche, um festzustellen, dass es gar kein warmes Wasser gibt. Ich stehe soeben vor der Entscheidung, dreckig in meine sauberen Sachen zu schlüpfen und jemanden zu finden, der das repariert, oder die Einladung für eine Erfrischung anzunehmen.
Es wird eine kurze Dusche, und danach bemerke ich am ehemals weißen Handtuch, dass sich Staub und Sonnencreme mit kaltem Wasser nicht besonders gut lösen. Ich fühle mich trotzdem sauber. Und definitiv erfrischt.
Schnell finde ich jemanden, der Englisch spricht und sich super sympathisch sofort kümmert. Tatsächlich hat man einfach vergessen, nach einer Wartungsarbeit am Durchlauferhitzer den Hahn zum Appartement aufzudrehen. Und ich weiß jetzt, wie es „hinter den Kulissen“ aussieht. Jedem Elektriker und Klempner würden sich vermutlich die Zehennägel aufstellen – mir ist es lieber egal.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
15.1 km | 92 Hm | 376 Hm |
Monchique, 26.04.2025
Nach besonders anstrengenden Tagen schlafe ich meist besonders schlecht und nicht, wie viele denken, fest und tief wie ein Stein.
Ich bin erfreut, dass die Nacht ganz okay war und ich mich einigermaßen erholt fühle.
Ich frühstücke alleine im glücklicherweise beheizten Frühstücksraum mit Blick in die Hügel, die im oberen Bereich von tiefliegenden Wolken umspielt werden.
Mit der aus den Niederlanden stammenden Frau (vielleicht der Tochter der merkwürdigen Frau von gestern Abend) tausche ich mich über die Etappe, die gerodeten Eukalyptusbäume und die Via Algarviana insgesamt aus und merke, wie gut es tut, schon am Morgen mein Minimal-Wörterpensum austauschen zu können.
Nun verstehe ich auch den Zustand des Hauses, das sie vor vier Jahren (vermutlich total heruntergekommen) gekauft hat und nun (vermutlich) modernisiert. Das moderne Bad passt nämlich null zum Rest des Hauses.
Schon gestern wundere ich mich beim Abstieg vom Picota-Gipfel über rote Flatterbänder, die zwischen den Büschen flattern. Heute treffe ich auf die Läufer der dazugehörigen Trailrunning-Veranstaltung.
Ich steige durch enge, gewundene Gässchen im Ort hinauf. Dieses kleine Bergdorf Monchique hat echt Flair und gefällt mir gut.
Weiter geht es auf einem wirklich schönen, schmalen Pfad.
Wenn ich darauf stehen würde, von sportlichen Menschen überholt zu werden und knackigen Hintern hinterherzugehen, würde es mir noch mehr Spaß machen.
So aber verleitet es mich nur dazu, schneller zu gehen, als ich es sonst tun würde. Mein Kardiologe würde sich freuen, dass ich auch mal höhere Herzfrequenzbereiche nutze.
Der Blick Richtung Portimão und Küste ist wunderbar, auch wenn es leicht trübe ist. Je weiter ich mich auf tollen Bergwegen dem Fóia-Gipfel, der höchsten Erhebung der Algarve mit 902 m, nähere, desto windiger wird es.
Da inzwischen die Sonne vom strahlend blauen Himmel scheint, ist dies sehr angenehm. Was für ein toller Wandertag!
Als ich 1 km vor dem Gipfel die Fahrstraße erreiche, dreht die Markierung der Trailrunning-Veranstaltung ab und ich bin nicht böse darüber.
Ich erreiche den sehr windigen Gipfel und genieße die Aussicht. Ein echter Höhepunkt!
Das Restaurant, in dem ich gerne einen Kaffee getrunken hätte, ist sinnigerweise samstags geschlossen, und im Souvenirladen könnte ich nur dicke Wollpullis, Mützen, Schnaps und Andenken kaufen. Danke, aber nein danke.
Ich wandere weiter und befinde mich nun auf der westlichen Seite des Monchique-Gebirgszugs, was mir fantastische Blicke auf die Westküste Portugals beschert: Aljezur, Carrapateira – all die schönen Ortschaften und Küstenabschnitte, die ich letztes Jahr auf dem Fischerpfad erwandern durfte und mit denen ich viele schöne Erinnerungen verbinde.
Wenig später kann ich schon den Stausee erkennen, der mein morgiges Tagesziel sein wird.
Das Kap Sankt Vincent ist bei der aktuellen Wetterlage noch zu weit entfernt, um es klar sehen zu können.
Ich würde wirklich gerne mal Mittagspause machen, doch hier oben ist es so windig und in der Nähe der Windräder auch so laut, dass ich weitergehen muss. Das hätte ich so nicht erwartet.
Nur noch wenige Kilometer vor Marmelete finde ich doch noch einen Rastplatz und bin begeistert über das Sandwich, das ich heute mitbekommen habe: Vollkornbrot mit Hummus und Avocado – fantastisch!
Durch jungen Eukalyptuswald wandere ich nun weiter nach Marmelete.
Vor einigen Jahren gab es hier großflächige Waldbrände, die Teile des Korkeichenwalds zerstört haben.
Nun gibt es viel schnell wachsenden Eukalyptus, der nicht nur brandgefährlich sondern wohl auch wirtschaftlich sehr attraktiv ist.
Marmelete ist ein süßes kleines Dorf mit weniger als 1000 Einwohnern und keiner adäquaten Unterkunft. (Den Schlafsaal der Gemeindeverwaltung hatte mir mein lokaler Reiseveranstalter wohl nicht zumuten wollen.)
Daher warte ich nun eine Dreiviertelstunde, bis mich mein Transfer in eine Unterkunft außerhalb abholen soll, und verkürze mir diese mit einem Cappuccino. (Hier ist ein „amerikanisches“ Burger-Restaurant, in dem es keinen Galão gibt. Atmosphäre und Preise sind entsprechend.)
Der Transfer verläuft reibungslos – der Check-in nicht ganz so.
Ein nur Portugiesisch sprechender Gärtner zeigt auf ein Zimmer, an dessen Tür ein Schlüssel steckt.
Ich rufe die Nummer der Unterkunft an, lande aber natürlich auf einem Anrufbeantworter.
Also versuche ich es noch einmal mit Google Translate und dem Gärtner. Er sagt, dass es schon das richtige Zimmer sei, wenn dort ein Schlüssel stecke.
Mir kommt das alles noch ziemlich merkwürdig vor. Während ich mich noch wundere, erreicht mich dann doch der Rückruf – und es stellt sich heraus, dass alles in Ordnung ist.
Ein kleines Zettelchen mit meinem Namen hätte mein Leben deutlich einfacher gemacht.
Insgesamt dürfte der Unterkunft mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Einfach ist okay – einfach schmutzig nicht. Überall hängen Schilder mit der hohen Bewertung auf booking.com – doch auch die ist Geschichte.
Das einzige Restaurant gegenüber findet zwar noch einen Platz für mich, doch entgegen der telefonischen Aussage des Vermieters, dass man dort Bescheid wisse, dass ich komme, wird dies verneint. Stattdessen bekomme ich zu hören: „They never talk to us. They are too rich to talk to us.“ Oha! Sympathie klingt anders.
Das Essen ist eine lokale Spezialität: In der vegetarischen Variante besteht es aus eingeweichtem alten Brot, Gemüse, Ei und Käse – und schmeckt richtig lecker.
Fazit: Heute war ein besonders schöner Wandertag
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
17 km | 567 Hm | 610 Hm |
Silves, 25.04.2025 (Dia da Liberdade)
Heute ist der höchste Feiertag in Portugal – der Tag der Freiheit, der an die Nelkenrevolution 1974 erinnert und die Rückkehr zur Demokratie markiert. Etwas Besonderes, Wertvolles, was vielen in einer Demokratie lebenden Menschen nicht bewusst ist.
Gut, dass mir die Tatsache bewusst war, denn sonst wäre ich sicher besorgt gewesen, schon um Mitternacht von schwerer Artillerie (Kanonenschüssen), gefolgt von 10-minütigem Feuerwerksgeknalle erschreckt worden zu sein. Ich vermute, dass dies alles direkt auf der Burg über mir stattfindet. Blöd nur, dass ich schon in 6 Stunden aufstehen möchte.
Es ist kurz nach 6 Uhr, als ich aufstehe, meinen Rucksack packe, mein vorbereitetes Frühstück esse, mich über den Sonnenaufgang freue und um 7:20 Uhr losmarschiere. Es ist sehr angenehm kühl, und ich genieße die Morgenstimmung. Über den Burgberg, vorbei an prachtvoll, lila blühenden Bougainvilleen, verlasse ich Silves mit der wirklich beeindruckenden Burg (Castelo de Silves).
Um 8 Uhr ist man wohl der Meinung, dass es Zeit ist, mit dem Feiern zu beginnen, und feuert erneut Kanonenschüsse ab. Ich bekomme dies in einem dörflichen Ausläufer der Stadt mit und muss über den lautstarken Protest der hier wohnenden Hähne lachen – die fangen nämlich jetzt allesamt an, wild und ausdauernd zu krähen.
Die ersten Hügel fordern mich schon sehr, und ich weiß, dass ich auf gar keinen Fall mit dem Gedanken wandern darf, heute eine Monster-Tour zu machen. Deshalb werde ich jetzt bis zum frühen Nachmittag eine „entspannte 20-km-Hügel-Tour“ machen. Und schon geht’s viel leichter.
Die Hügel haben es echt in sich, denn es geht stets steil hinauf und steil herunter – niemals eben. Nach 6 km – ich bin völlig verschwitzt – erreiche ich einen Hügel mit überdachter Aussichtsplattform, die vermutlich als Feuerwachpunkt dient. Schön kann ich das Häusermeer von Portimão an der Küste sehen – und auch die Bergkette der „Serra de Monchique“, über die sich von der Rückseite gerade eine Wolkenschicht schiebt.
Der nächste Hügel ist komplett gerodet, und ich verstehe nicht, warum. Das Holz der Eukalypten (?) liegt noch am Wegrand, und alles sieht echt wüst aus.
Trotz hervorragender Markierung verpasse ich die nächste Abzweigung und muss dank der Warnung meiner Uhr umdrehen.
Unter anderem lag dies daran, dass ich den breiten Hauptweg verlassen hatte. Es geht nun auf einem schmaleren Weg extrem steil nach unten. An einer feuchten, gar nicht so tückisch aussehenden Stelle geschieht es dann – ich rutsche weg und falle seitlich vorwärts auf mein Knie und meine rechte Hand, mit der ich das Gewicht des Rucksacks abfange. Sch***e!
Adrenalin und Schmerz durchfluten mich gleichzeitig mit der Befürchtung, dass jetzt etwas Schlimmes passiert ist. Einen Moment lang ist mir speiübel.
Ich schaffe es, mich aufzurappeln – Gott sei Dank! Ich kann sogar alles noch bewegen, auch wenn es arg wehtut. Obwohl mich der schwere Rucksack nach unten gedrückt hat, fühlt sich der Rücken gut an. Der Schreck sitzt tief, doch ich habe riesiges Glück gehabt, denn nach ein paar humpelnden Schritten sieht es tatsächlich so aus, als wäre außer einem blutig zerkratzten und geprellten Knie sowie einem nur geprellten Handballen nichts passiert. Beides tut natürlich weh, doch ich kann weitergehen. Es ist ewig her, dass ich beim Wandern gestürzt bin, und doch weiß ich, dass das ganz anders hätte ausgehen können. Oh Mann!
Ich schicke einen herzlichen Dank an meinen Schutzengel und Richtung Universum.
Etwa eine Stunde später, als ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, mache ich eine Pause, esse eine Kleinigkeit und versprühe ein bisschen Desinfektionsmittel.
Aufgrund der extrem hügeligen Landschaft bin ich heute deutlich langsamer unterwegs als erwartet. Gut, dass ich früh gestartet bin.
Das Monchique-Gebirge mit dem Picota kommt näher und näher, und ich bin sehr dankbar dafür, dass die Wegführung nun etwas weniger steil als zuvor auf und ab führt.
Auf dem Weg nach unten kommen plötzlich drei E-Mountainbiker von hinten angefahren. Einer hält an und erzählt mir, dass sie heute Morgen auch in Silves gestartet seien und nun das lange Wochenende auf dem Weg ausnutzen.
Um 12:30 Uhr beende ich meine heutige Hügel-Tour nach 18 km und finde eine wunderschöne Stelle in der Natur, in der ich mich in schattiges Gras legen und ausruhen kann. Inzwischen tut auch mein Knie nicht mehr bei jedem Schritt weh, und ich bin unglaublich froh, dass das doch noch so glimpflich abgelaufen ist, wobei ich jetzt aufpassen darf, dass sich das nicht entzündet.
Nach eineinhalbstündiger Mittagspause im Schatten, während der ich sogar wegdöse, starte ich um 14 Uhr auf die zweite Wanderung des Tages. Dies ist zum Glück nur eine überschaubare Gipfeltour, die mich auf den Picota-Gipfel führen soll.
Das Knie nach der Pause wieder in Schwung zu bringen, ist schmerzhafter als erhofft, doch das Wegstück über einen schmalen Wiesenpfad ist eine der schönsten Passagen auf dem gesamten bisherigen Weg. Leider ist das Stück nur kurz und endet an der Stelle, an der der Weg sorgsam verbarrikadiert ist. Zum Glück bin ich darauf vorbereitet, dass hier ein Grundbesitzer angeblich rechtswidrig den Durchgang verhindert, und weiche auf die Alternativroute aus. Diese ist ein winziges Stück kürzer als die Originalroute und verläuft leider zu einem guten Teil auf der Straße. Zum Glück hatte ich diese Information auf der offiziellen Webseite entdeckt, denn von meinem lokalen Reiseanbieter gab es hierzu keine Information. In meinem finalen Feedback werde ich dies erwähnen.
Nachdem ich eine Stunde meditativ auf einem breiten Weg und der Straße gegangen bin, biege ich jetzt auf einen steilen, steinigen Wanderweg nach oben ab. Bogen schlagend zieht sich die Route nach oben, und ich benötige insgesamt fast drei Stunden, bevor ich auf dem Picota mit seinen 773 m stehe – seines Zeichens zweithöchster Gipfel der Algarve. Der höchste Gipfel ist nur etwa drei Kilometer von hier entfernt.
Erwartungsgemäß habe ich von hier oben einen 360°-Rundumblick, wobei die Sicht von weiter unten klarer war. Außer mir ist hier oben niemand – und da es sehr windig ist, gehe ich nach ganz kurzer Pause weiter. Es ist ja auch schon 17 Uhr.
Kurz nach 18 Uhr erreiche ich den Ortseingang von Monchique. Ich möchte jetzt nur noch in die Unterkunft, duschen und mich ausruhen.
Im Supermarkt besorge ich mir einen großen Salat und ein kleines Bier. Eine nette Frau mit Englischkenntnissen hilft mir, auch noch eine Salatsoße zu finden. Die steht hier nämlich nicht neben dem Salat. Sie führt mich in einen ganz anderen Gang – ich bedanke mich und bemerke einen ziemlich unangenehmen Geruch. Mir ist das jetzt echt unangenehm, und ich schnüffele an mir, um dann festzustellen, dass wir uns unbemerkt der Käseabteilung genähert haben, die diese olfaktorische Verwirrung zu verantworten hat. Uff!
Jetzt trinke ich doch noch schnell einen Kaffee und mache mich auf die letzten (Kilo-)Meter.
Mein Flüssigkeitsmanagement (6 l Wasser + 1 l Apfelsaft) hat heute ziemlich gut gepasst.
Dunkle Wolken und kalter Wind machen die letzten Meter ziemlich kühl und unangenehm. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass der Gipfel des Picota in Wolken verschwunden ist. Gut, dass ich jetzt nicht mehr dort oben bin.
Bis auf einen falschen Schritt scheine ich heute alles richtig gemacht zu haben.
Die auf dem Weg liegende Apotheke nehme ich als Wink des Schicksals und bekomme eine Salbe für mein Knie – die gute alte Eucéta-Salbe, die sämtliche solche Schürfwunden meiner Kindheit geheilt hat, gibt es ja leider nicht mehr.
Punkt 19 Uhr komme ich an meiner Unterkunft an – ich war also fast 12 Stunden unterwegs – und werde von einer etwas merkwürdigen Frau empfangen. Sie scheint auf mich gewartet zu haben und führt mich in mein Zimmer. Leicht muffig riecht es hier, und es ist vom Standard deutlich hinter dem der letzten Nacht zurück, doch heute ist mir alles egal.
Ich dusche, stelle fest, dass das nun saubere Knie ziemlich okay aussieht, auch wenn es natürlich brennt und dick ist, und salbe es ein.
In der Küche verspeise ich meine 400-g-Portion Salat und bin glücklich. Geschafft und glücklich.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
33.5 km | 1265 Hm | 844 Hm |
Silves, 24.04.2025
Ich starte den Tag mit einem ausgedehnten Frühstück und einer langen Unterhaltung mit einer deutschen Frau im Rentenalter, die der einzige andere Gast in dem schönen Gästehaus im Stadtzentrum ist.
In der Nacht habe ich ziemlich schlecht geschlafen und hatte Zeit, über die morgige Etappe nachzudenken. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass meine Chancen, möglichst gut durchzukommen, mit einem frühen Start steigen.
Deshalb habe ich mein Frühstück und Lunchpaket für morgen abbestellt und mir heute schon das Müsli gerichtet, damit ich ziemlich bald nach Sonnenaufgang starten kann.
Den Rest des Vormittags verbringe ich damit, meine Wäsche im Waschsalon zu waschen. Das fühlt sich richtig gut an.
Nach einer Siesta, einem Bad im Pool und einem kurzen Sonnenbad ziehe ich neue orangefarbene Schnürsenkel in meine Wanderschuhe ein. Die alten halten nur noch an einem Faden. Das ist einerseits eine total beruhigende Tätigkeit – andererseits macht mir der Farbtupfer gleich gute Laune. Nach dieser Anstrengung muss ich mich gleich noch ein bisschen ausruhen.
Am späten Nachmittag, als es immer noch nicht kühler ist, mache ich mich auf eine Sightseeing- und Proviant-Shopping-Tour. Ich habe das Gefühl, in der gleißenden Sonne zu verglühen, während einige Einheimische noch langärmlige Pullis tragen (die meisten allerdings doch T-Shirts).
Die über der Stadt thronende Burg kann selbst mich begeistern. Die Aussicht ist atemberaubend, und doch darf man hier auch aufpassen, wo man hintritt, denn man kann beim Rundgang entlang der Burgzinnen aufgrund nicht vorhandener Geländer problemlos mehrere Meter in die Tiefe stürzen. Ich bin in Portugal – und liebe es.
Danach gönne ich mir in der Nähe des Flusses Arade ein leckeres Abendessen und begebe mich dann in die Unterkunft. Morgen wird ein anstrengender Tag mit frühem Start.
São Bartolomeu de Messines, 23.04.2025
Nachdem ich mich gestern Abend mit einer Einschlafmeditation erfolgreich vom Straßenlärm ablenken konnte, verlief die Nacht überraschend ruhig. Sogar die sehr nahe Kirchturmglocke war in der Nacht still.
Ich gehe zum Frühstück und treffe hier erstmals wieder auf abgepackte Marmelade. Stimmt – ich bin hier in der Stadt.
Um 9:20 Uhr trete ich aus meiner Unterkunft und bin schon mit dem ersten Schritt wieder auf der Via Algarviana, die mich – auch hier hervorragend markiert – aus dem Städtchen herausführt. Noch im Zentrum gehe ich an einer lauten Fabrikhalle vorbei und muss unbedingt herausfinden, was „Trituração de alfarroba“ bedeutet. Hier findet sie also statt, meine vorgestern beschriebene „Johannisbrot-Zerkleinerung“.
Vorbei an ein paar landwirtschaftlich genutzten Feldern erreiche ich nach Pedreiras eine Anhöhe und kann auf die grüne Hügellandschaft vor mir blicken – inklusive eines Ausläufers des vom Rio Arade gefüllten Stausees „Barragem do Funcho“, der mich einen großen Teil des heutigen Tages begleiten wird.
Es folgt ein etwas unschönes Intermezzo, denn aus einem Gehöft, an dem ich vorbeiwandere, kommt ein Hund laut und bedrohlich bellend auf mich zu. Der möchte definitiv nicht spielen. Als ich ihm verbal klar und deutlich mache, dass er abhauen soll, lässt ihn das kurz zögern, und er kommt trotzdem weiter bedrohlich näher. Erst als ich mich nach dem auf der Teerstraße nur virtuell vorhandenen Stein bücke, den ich gleich nach ihm zu werfen gedenke, bleibt er – immer noch laut und bedrohlich bellend – stehen und kommt nicht näher. Schön, dass die Begegnungen mit Hunden bisher noch reibungsloser verlaufen sind.
Durch ein Meer von wunderbar weiß blühenden Zistrosen, von denen ich immer noch nicht genug bekommen kann, nähere ich mich unter wolkenlosem, blauem Himmel dem Stausee. Neben mir plätschert ein Bach – vereinzelt singen Vögel. Ein paar Frösche quaken. Ein Uhu uhut. Ansonsten: Stille pur. Wunderbar!
Ich erreiche den See und folge dem einige Meter oberhalb des Ufers schattenlos verlaufenden Fahrweg, der jede Einbuchtung mitnimmt – mit schönem Blick auf den See und völliger Ruhe. Ich bilde mir sogar ein, dass es aufgrund der Wasserfläche ein kleines bisschen kühler ist.
Am Ende des Sees stehen in traumhafter Lage ein paar verfallene Gebäude. Jammerschade!
Schweißtreibend wandere ich den Hügel hinauf, um auf der anderen Seite wieder hinabzuwandern. Der Ausblick von hier ist fantastisch.
Wenig später erreiche ich unweit der extrem gebogenen Staumauer einen wunderschönen Picknickplatz, an dem ich Mittagspause mache. Die Hälfte der Strecke habe ich auch schon geschafft.
Danach überquere ich die Staumauer und bin sehr froh, dass auch auf der anderen Seite der Staumauer das Tor zum Stauwerk-Betriebsgelände geöffnet ist. Nun gehe ich hinab ins Tal und lasse mich kurzzeitig vom falschen Weg verführen. Glücklicherweise warnt mich meine Uhr, sodass sich der Umweg in Grenzen hält.
Ich biege in ein kleines Seitental ab, in dem mich ein steiniger und extrem steiler Weg schattenlos auf die nächste Anhöhe bringt.
Während mir die Sonne das Hirn wegbrutzelt, fällt mir auch hier wieder Merkwürdiges auf dem Boden auf. Es hat Ähnlichkeit mit einzelnen Pferdeäpfeln, jedoch sind hier keine Pferde. Außerdem sind die Dinger im Boden festgewachsen – sehr merkwürdig. Schon gestern und vorgestern hatte ich mich darüber gewundert, doch die künstliche Intelligenz der Apple-Bilderkennung meinte, es würde sich um Reptilien handeln und schlug vor, dass es auch Schildkröten sein könnten. Meine natürliche Intelligenz verneint dies eindeutig. Dank Google Lens weiß ich nun, dass es sich um „Gemeine Erbsenstreulinge“ handelt. Ich bin sehr froh, diese Wissenslücke nun geschlossen zu haben.
Nach knapp 25 km – ich bin ziemlich erhitzt und erschöpft – finde ich endlich zwei Quadratmeter Schatten auf dem Weg. Ich ziehe meine Folie aus dem Rucksack und lege mich quer über den Weg, trinke fast das komplette verbleibende Wasser und ruhe mich aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich es gleich noch nach Silves schaffe, doch wie ich übermorgen die gleiche Distanz, aber 1.000 Höhenmeter mehr schaffen soll, ist mir gerade unklar. Drüber nachgrübeln hilft jedenfalls nicht – und so gehe ich weiter, freue mich auf die Dusche und den Ruhetag. Morgen.
Heute sind mir schon ein paarmal Ägyptische Wanderheuschrecken begegnet, die entweder auf dem Weg saßen oder im Gebüsch und dann aufgeflogen sind, als ich vorbeikam. Diese riesigen fliegenden Insekten finde ich richtig furchteinflößend.
Die letzten Kilometer nach Silves nehme ich gar nicht mehr richtig wahr und bin froh, als ich im Hotel einchecken kann. Da es schon nach 17 Uhr ist, als ich ankomme, muss ich mich mit einem Code selbst einchecken, doch das verläuft problemlos. Das Hotel gehört denselben Betreibern wie das in Alte, und so habe ich auch wieder ein sehr schön und hochwertig gestaltetes Zimmer sowie einen Außenbereich mit einem schönen Pool. Für das Trocknen meiner Wäsche muss ich mir hier mal eine kreative Lösung ausdenken.
Fazit: Eine lange, fordernde Etappe. Das Wasser hat gerade so gereicht. Morgen ist zum Glück Ruhetag.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
31.7 km | 469 Hm | 585 Hm |
Alte, 22.04.2025
Mein gestriges Abendessen war weder ein kulturelles noch ein kulinarisches Highlight, hat mir aber eine hervorragende Nachtruhe beschert. Und da es erst ab 8:30 Uhr Frühstück gibt, kann ich die Zeit im bequemen Doppelbett ausgiebig genießen.
Ich bin der erste Gast im Frühstücksraum, werde von der mir bekannten Mitdreißigerin empfangen und genieße das Buffet mit viel Obst und sogar frischem Gemüse. Ich weiß nicht genau, wie ich es angestellt habe, doch plötzlich stehen wir in ein sehr interessantes Gespräch verwickelt vor dem Buffet, bei dem ich nicht nur erfahre, dass sie als kleines Kind aus der Ukraine nach Portugal gekommen ist, sondern auch ganz viel über ihr Leben hier in den Bergen. Sie bezeichnet es tatsächlich so und scheint zu wissen, wovon sie spricht, denn sie hat auch lange in anderen Regionen der Algarve gelebt.
Wäre nicht um halb zehn ein junges Pärchen gekommen – das sein Frühstück komplett schweigend absolviert –, stünde ich vielleicht immer noch dort.
Begegnungen und Austausch dieser Art hatte ich in diesem Urlaub noch (viel zu) wenige.
Es ist schon 10:30 Uhr, als ich losgehe, mir noch schnell ein Wasser besorge und dann das wirklich schöne Bergdorf mit vielen Ateliers für Kunsthandwerk verlasse. Dabei stoße ich auf einen Wanderer, der drei Tagesetappen nördlich von Alcoutim gestartet ist und im Zelt übernachtet. Ihm gelüstet es nach einem Kaffee, und mir ist gerade (auch) nicht nach Wanderbegleitung. Wir wünschen uns einen schönen Tag – und vielleicht sehen wir uns unterwegs ja noch einmal.
Heute verspricht ein trockener, warmer und traumhafter Wandertag zu werden. Im Moment darf ich sogar aussichtsreich auf einem schönen, schmalen Pfad durch die Natur wandern. Meine Blase ist verheilt und mir tut auch sonst gerade nichts weh. Mir fehlt es an nichts – und ich bemerke, dass ich glücklich bin.
Am späten Vormittag komme ich in den kleinen Ort Torre, der aus vielleicht 20, 30 schönen, getünchten Häusern besteht. Bei einer kleinen Werkstatt, die Holzspielzeug in Handarbeit herstellt, schaue ich hinein und treffe in einem großen Raum, der kaum Werkzeug enthält, auf drei Frauen.
Obwohl mein Französisch nie überragend war und inzwischen sehr eingerostet ist, freue ich mich enorm, dass eine davon die Sprache spricht und wir uns zumindest rudimentär verständigen können. Das tut gut.
Vorbei an mehreren Villen mit extrem schön gepflegten Gärten erreiche ich eine Fahrstraße, auf der ich mich der nun zu unterquerenden Autobahn A2 nähere, die hier auf einer Brücke über das Tal verläuft.
Bei einer kleinen Tankstelle setze ich mich an eines der Tischchen, um Mittag zu machen. Dazu gönne ich mir einen Kaffee (unglaubliche 0,80 €), bevor ich weiterwandere, die Autobahn unterquere und endlich wieder in der Stille der ebenen Kulturlandschaft verschwinde.
Vorbei geht es an einigen Gewächshäusern und nicht eingezäunten Orangenbäumen. An einem Baum fällt eine Frucht gerade in dem Moment herab, als ich meine Hand darunter halte, und ruft „vernasch mich!“ – genau so, oder mindestens sehr ähnlich ist es passiert. Die Orange ist vollreif, sehr saftig und unglaublich süß. Unter Umständen ist das die leckerste Orange, die ich je hatte.
5 km vor Messines muss ich mich entscheiden, ob ich der Original-Route folgen möchte oder die vom lokalen Reiseveranstalter vorgeschlagene Umgehung nehme, weil das Gebiet angeblich überschwemmt ist bzw. war.
Da ich meine trockenen Schuhe gerade sehr mag und mir eher nach Ankommen als nach Abenteuer zumute ist, wähle ich die Umgehung.
Als ich bei einer großen Obstfabrik wieder auf den Weg stoße, liegt mein Tagesziel auf dem Hügel vor mir. Nun darf ich noch einen Schlenker wandern, der mir nicht nur zusätzliche Wegstrecke, sondern auch ganz wunderbare Weitblicke in die Landschaft beschert.
Messines ist die erste größere Stadt auf der Via Algarviana – und doch ist sie vom Tourismus weitestgehend verschont geblieben.
Von der Kapelle auf dem Hügel außerhalb genieße ich noch einen Moment den Ausblick, bevor ich mich ins Zentrum begebe.
Meine Unterkunft liegt sehr verkehrsgünstig neben der Kirche – also direkt an der engen Straße durch die Altstadt. Von meinem etwa 40 cm breiten Balkon kann ich wunderbar den Verkehr und das Treiben beobachten.
Ich setze mich erst einmal einen Moment auf mein Bett und bemerke einige Dinge gleichzeitig:
• Ich habe heute viel zu wenig getrunken und mir ist etwas schummrig.
• Auf den Waden habe ich Sonnenbrand, denn sinnigerweise habe ich diese an jedem Regentag eingecremt und war heute früh der Meinung, dass das jetzt nicht mehr nötig sei.
• Die letzten Unterkünfte lagen traumhaft ruhig.
• Mein Laminat in meiner Mietwohnung ist doch ganz okay verlegt.
• Mir fallen die Augen zu.
Ich dusche, wasche das Nötigste und kaufe viel Wasser für morgen, da es unterwegs keine Möglichkeit zum Nachtanken gibt und 8 Stunden Wanderzeit veranschlagt sind.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
20.4 km | 345 Hm | 400 Hm |
Salir, 21.04.2025 (Ostermontag)
Tomate + Zwiebel + Ölsardine + Kuchen + Bier = Sodbrennen.
Auf diese einfache Formel kann ich die Unvernunft des gestrigen Abends und der daraus resultierenden, über Stunden schlaflosen Nacht bringen. So schlecht hat sich mein Magen lange nicht angefühlt. Ich muss unbedingt heute damit beginnen, mich so zu ernähren, wie ich weiß, dass es mir guttut und nicht das zu essen, was ich hier standardmäßig bekomme. Vor allem zu süß, zu fett, zu salzig, zu viel. Wobei ich für mein gestriges Abendessen selbst verantwortlich war.
Heute erwartet mich traumhaftes Wetter und die Sonne scheint vom überwiegend blauen Himmel. Um 10 Uhr breche ich auf, verabschiede mich beim Gehen von den netten, holländischen Nachbarn, und wandere zunächst den Hügel zur Kirche von Salir hinauf und genieße die Aussicht. Bei diesem Wetter ist es hier unglaublich schön.
Zwischen mit Steinmauern gefassten Feldern folge ich dem Weg und passiere mehrere kleine, ärmlich wirkende Dörfer mit vielen kläffenden Hunden – zum Glück hinter Gartentoren. Auch stehen hier mehrere alte Brunnen, an denen die traditionelle Bewässerungstechnik erklärt wird. Es gefällt mir unglaublich gut hier in der Ebene, die ich jedoch bald nach links verlasse und schweißtreibend den Hang hinaufwandere. Oben angelangt, bewundere ich den markant flachen Hügel „Rocha da Pena“ auf der gegenüberliegenden Talseite, der mir gestern schon aus der Ferne ins Auge gefallen war.
An gut eingezäunten und mit hohen Steinmauern umrandeten Orangenplantagen, in denen die Bäume sich unter der Last der schweren Früchte biegen, nähere ich mich Benafim.
In der Nähe des zentral gelegenen Supermarkts stoße ich auf eine bequeme Bank – die erste Sitzgelegenheit seit meinem Start – und nutze diese gerne, um Pause zu machen. Auch wenn gerade eine dunkle Wolke vor der Sonne steht, genieße ich das heute sehr angenehme Wetter und die 20 Grad.
Der Ort hat in etwa gleich viele Einwohner wie Salir, macht auf mich jedoch einen deutlich gepflegteren Eindruck.
Durch die wunderschön blühende Natur und begleitet von Vogelgesang wandere ich fast meditativ abwärts – immer mit leicht besorgtem Blick zum immer dunkler werdenden Himmel – bis ich den Fluss „Ribeira de Alte“ erreiche. Ich erschrecke zunächst über dessen Ausmaße an der Stelle, an der die Straße durch ihn führt, doch glücklicherweise gelingt mir die Überquerung trockenen Fußes ein paar Meter daneben. Nun darf ich auf der anderen Seite des Tals wieder hinaufwandern. Die Natur ist so beruhigend. Ich kann völlig abschalten, beziehungsweise meinen Gedanken freien Lauf lassen.
Freien Lauf lassen nun auch die Wolken ihrem feuchten Inhalt, sodass heute kein regenfreier Wandertag wird. Es wäre schön gewesen – doch ich merke, dass ich auch diesbezüglich schon viel gelassener geworden bin.
Mir fällt auf, dass in dieser Gegend nicht nur Olivenbäume, sondern auch eine enorme Anzahl an Johannisbrotbäumen wachsen.
Bekannt war mir, dass man die Kerne zum Aufwiegen von Diamanten genutzt hat, da diese unabhängig von ihrer Größe immer 1 Karat schwer sind – doch so viele Diamanten kann es hier gar nicht geben. Inzwischen sind die Bäume ein echter Wirtschaftsfaktor, da man sie nicht nur in der Kosmetikindustrie nutzt, sondern neben Tieren auch an Menschen verfüttern kann (Johannisbrotkernmehl dient u. a. als natürliches, veganes, glutenfreies Gelier- und Verdickungsmittel).
Ich erreiche den Ortsrand von Alte an der historischen Wasch- und Badestelle „Fonte Grande“, an der sich Touristen befinden und eine kinderreiche Großfamilie (Ostern?) feiert. So viel Leben nach der Stille in der Natur. Auch heute bin ich unterwegs keinem Wanderer/Spaziergänger begegnet.
Im Ortskern, unweit der schönen Kirche, finde ich meine moderne Unterkunft. Eine Mitarbeiterin empfängt mich professionell freundlich, doch nicht herzlich, und führt mich vor mein Zimmer. Ich entscheide mich gegen ein Bad im kalten Pool im Innenhof ebenso wie gegen den warmen, nach sehr viel Chlor riechenden Jacuzzi auf der Dachterrasse und mache erstmal einen kleinen Spaziergang durch das „Zentrum“, wo ich nun doch noch einen Galão trinke.
Auf dem Rückweg in die Unterkunft scheint plötzlich die Sonne richtig stark, und ich entscheide mich, doch noch in den Jacuzzi auf der Dachterrasse zu gehen. Das ist unglaublich schön und fühlt sich gleichzeitig auch etwas dekadent an. Hier mit eingeschalteter Blubber-Funktion im 40 Grad warmen Wasser über den Ort zu schauen und die Aussicht zu genießen – wow! Und meiner Muskulatur tut es auf jeden Fall auch gut.
Zum Abendessen gibt es heute ein paar Haferflocken mit Banane, damit ich hoffentlich mal wieder gut schlafen kann.
Offiziell ist die Via Algarviana in 14 Etappen eingeteilt, womit ich nach dem heutigen siebten Wandertag eigentlich die Hälfte der Etappen (– nicht die Hälfte des Weges –) „gemeistert“ hätte. Da ich allerdings mir durch Halbierung der Etappe 12 insgesamt 15 Etappen vorgenommen habe, ist bei mir dies erst nach der morgigen Etappe der Fall.
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
19.3 km | 356 Hm | 388 Hm |
Barranco do Velho, 20.04.2025 (Ostersonntag)
Ich habe nicht gut geschlafen. Ob dies an der Anstrengung oder dem zu reichlichen Abendessen oder wirren Gedanken lag, vermag ich nicht zu beurteilen.
Nun gehe ich jedenfalls zum Frühstück, nachdem ich versucht habe, mich an dem spärlichen Wasserrinnsal am Waschbecken zu erfrischen.
Der Gastraum ist schon wieder komplett für das Mittag-/Abendgeschäft eingedeckt, und ein Tischlein ist für mein Frühstück vorbereitet.
Das Hotel ist echt nicht doll, doch das Essen reißt alles raus. Ich bekomme frisches Rührei und auch sonst so viel aufgetischt, dass ich ganz locker etwas Obst und ein paar Scheiben Brot abzweigen kann – und damit mein Abendessen sichere, gemeinsam mit der Dose Sardinen, die ich schon eine Weile mit mir herumtrage. In Salir ist nämlich heute ab 14 Uhr alles geschlossen, und ich möchte mich nicht stressen.
Nun kann ich mir so viel Zeit lassen, wie ich möchte, und einfach irgendwann ankommen. Für den Self-Check-in in Salir habe ich bereits gestern ein Video erhalten und bin daher auf niemanden angewiesen. Ob ich heute wohl den Pool nutzen kann?
Draußen ist es feucht und neblig, und die Straße regennass – vielleicht ändert sich das noch, bis ich nachher losmarschiere.
Um 9 Uhr mache ich mich auf den Weg und merke sehr schnell, dass ich überoptimistisch war. Nur mit Pulli und Hemd bekleidet, ist es deutlich zu kalt, und auch mit Jacke und Buff bin ich froh über die Bewegung. Handschuhe wären auch was Feines!
Trotz allem bin ich gut gelaunt und dankbar, dass meine Blase am Abheilen ist, nicht mehr ganz so weh tut, und freue mich auf die heutige Etappe. Laut Wetterbericht soll später sogar noch die Sonne herauskommen.
Ich wandere auf der Hochebene (500 m) und genieße den Ausblick. Bei guter Sicht und schönem Wetter könnte man von hier bis an die Küste – also vermutlich bis Faro – sehen.
Ich passiere eine alte, weiße Windmühle und kann in der Ferne den flachen Rücken des „Rocha da Pena“ erahnen. In der Nähe meine ich, schon am markanten Wasserturm mein Tagesziel Salir zu erkennen.
An geschälten Korkeichenbäumen und Zistrosen entlang starte ich meinen Abstieg von der Hochebene. Ich passiere einen bedrohlich bellenden und sich schnell im Gelände bewegenden Hund, der sich glücklicherweise doch von mir fernhält. Ein gutes Gefühl habe ich dennoch nicht. Gerade will ich mich darüber freuen, dass mir warm ist, als es zu regnen beginnt – und das, obwohl es in der Wetter-App nicht vorgesehen ist. Sowas!
Auch hier sehe ich wieder Erdbeerbäume, deren Früchte im Herbst zum Brennen des Medronho dienen. In der schmuddeligen Bar vorgestern hatte ich ihn bereits zur Desinfektion (von innen) probiert. Er schmeckt (vermutlich) besser als Sagrotan, doch der Spitzname „Wurmtöter“ kommt nicht von ungefähr.
Unten im Tal kommt die Sonne heraus, und so wandere ich, von Steinmauern gesäumt, lustig vor mich her. Es kann so schön sein – denke ich.
Unvermittelt biegt der Weg ab, und ich stehe vor dem Bach Ribeira do Carrasqueiro, den ich nur zeitaufwendig und mit Mühe trockenen Fußes überqueren kann.
Weiter geht es – und nur einen kurzen Regenschauer später komme ich an eine schöne Picknickbank am Rio Seco. Ich mache Pause und genieße das Rauschen des Flusses und das Vogelgezwitscher.
Kurz nach dem Rastplatz sollte ich den Rio Seco überqueren. Da er derzeit gar nicht „seco“ ist und auch an der flachsten Stelle mindestens wadentief Wasser führt, wurde mir hierfür eine Umgehung über eine Fahrstraße vorgeschlagen, die ich, ohne lange zu überlegen, annehme.
Wenige Meter später überquere ich den Fluss auf einer ordentlichen Brücke und stoße auf einige schöne, gepflegte Villen und Palmen, bevor ich die letzten Kilometer nach Salir auf einer Teerstraße fortsetze.
Hier unten wachsen Olivenbäume, Feigen, wilder Wein, und vereinzelt leuchten mir rot blühende Mohnblumen entgegen. Dies ist eine völlig andere Vegetation als in der Landschaft, durch die ich bisher gewandert bin.
Gegen 13 Uhr erreiche ich Salir – für lange Pausen unterwegs war es einfach nicht warm und schön genug. Der Ort kommt mir mit seinen 2700 Einwohnern riesengroß vor – und ist es im Vergleich zu den letzten Ortschaften auch.
Da der Spar-Supermarkt noch geöffnet ist, beschließe ich, es mir heute richtig gut gehen zu lassen, und besorge mir doch noch eine Tomate, Zwiebel und Karotte sowie ein Bier für heute Abend. Dann mache ich mich auf den Weg zu dem etwa 1 km außerhalb gelegenen Ferienhaus. Vom Wasserturm, direkt neben der Kirche, genieße ich den Blick und schaue zurück in die Berglandschaft, in der ich heute Morgen noch war.
Das Ferienhaus entpuppt sich als kleine Anlage mit sechs kleinen Appartements und einem zentralen Pool und Gemeinschaftsraum. Vor meinem Zimmer steht überdacht ein Tisch und eine Liege, auf der ich es mir mit Blick auf Salir bequem mache. Und vor dem Nachbarappartement steht sogar ein Wäscheständer – perfekt!
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
16.3 km | 205 Hm | 485 Hm |
Vaqueiros, 19.04.2025
Ich wache erholt auf und, da die Belgier*innen schon in der nächsten Unterkunft sind, bin ich alleine im Frühstücksraum. So richtig überlaufen ist es hier nicht.
Heute gilt es wieder, alles einzupacken und die Wassermenge für die 8-Stunden-Tour richtig abzuschätzen. Draußen ist es kühl und ich freue mich, dass es trocken ist und die Sonne durch den Wolkenhimmel blinzelt. In einer Pfütze sehe ich, dass es doch tröpfelt. Das Wetter ist wirklich verrückt hier.
Der Transfer nach Cachopo erfolgt mit dem gleichen Auto, doch heute fährt mich eine Frau. Verständigung ist noch schwieriger, doch dafür fährt sie hervorragend defensiv und hört auch die angenehmere Musik.
Vorbei am öffentlichen Waschplatz und auf Betonpfeilern über einen sumpfigen Bach verlasse ich den Ort – es ist windig und kalt!
Ich passiere viele nackte Korkeichen, deren geschälte Rinde am Ortsrand aufgestapelt liegt. Diese Gegend ist für ihren qualitativ extrem hochwertigen Kork bekannt, und immerhin ist Portugal der weltgrößte Produzent von Naturkork, der für weit mehr als zum Verschließen von Weinflaschen eingesetzt wird.
Sehr steil und steinig wandere ich den Hügel hinauf bis zu einer Windmühlenruine. Jetzt ist mir warm.
Entgegen meiner Gewohnheit, während des Wanderns nur zu wandern, telefoniere ich lange mit meiner Tochter.
Immer wieder ziehe ich meine Regenjacke an und aus und gehe die Hügel hinauf und hinab. Irgendwie müssen die 1000 Höhenmeter heute ja zustande kommen.
Um 13 Uhr bin ich in dem kleinen Ort Castelão und mache auf einer Bank Mittag.
Nun geht es hinab ins Tal mit dem Fluss Odeleite. Ich freue mich, dass ich in der Sonne Mittagessen konnte, denn nun beginnt es schon wieder zu regnen. Das Wetter ist heute unglaublich wechselhaft – besser als Dauerregen. Auch dieses Mal hört der Regen nach 10 Minuten wieder auf.
Ich überquere den Fluss ganz problemlos über eine Brücke – ich kann nicht wirklich nachvollziehen, warum der Wanderführer so ein Thema daraus macht. Vielleicht gibt es tatsächlich Situationen im Frühjahr, wenn der Fluss Hochwasser hat und dann komplett unpassierbar ist?
Um 14:30 bin ich in Parises und kehre in der kleinen Bar ein. Außer mir ist dort nur die Besitzerin, die mir einen Galão macht und meint, ich sei dann wohl um 17:30 am Ziel. Keine Ahnung, ob das aufmunternd gemeint ist, doch ich merke, dass ich schon jetzt ziemlich platt bin.
Sie setzt sich zu mir, und wir versuchen, ein paar Sätze auszutauschen. Sie erwähnt die vier Belgier*innen, die gestern 2 Stunden später als ich heute ankamen und dann mit dem Taxi abgeholt wurden. Angeblich kommt fast jeden Tag ein Wanderer oder eine kleine Gruppe vorbei, von daher ist es ja prima, dass es die Via Algarviana gibt.
Hochmotiviert laufe ich hemdsärmelig weiter, um schon nach 5 Minuten wieder die Regenjacke anzuziehen. Das Sonne-Regen-Spiel nimmt und nimmt kein Ende.
Gefühlt unendlich viele Hügel und Regenschauer später erreiche ich das Bergdorf Barranco do Velho. Der Blick für die Korkeichen, Pinien und andere Bäume geht mir gerade völlig ab – und schöne Blumen gibt es immer weniger. Ich möchte nur noch ankommen, duschen und die Füße hochlegen. Und ich merke, dass ich heute nicht richtig gut auf mich geachtet habe, denn ich habe viel, viel zu wenig getrunken.
Im Hotel „A Tia Bia“ ist man von der feuchten Witterung, die dieses Jahr ausgeprägter ist als sonst, ebenso wenig begeistert, denn sie schlägt einerseits aufs Gemüt und sorgt andererseits dafür, dass es in den Zimmern schimmelt – laut Gastgeberin an Stellen, die sonst nie betroffen waren.
Aus dem Wasserhahn kommt kaum Wasser – in der Dusche ist’s ein bisschen besser. Rechte Freude mag allerdings nicht aufkommen, doch das ist mir jetzt auch egal.
Das Restaurant ist vollständig eingedeckt und soll auch voll werden, doch man hat mir einen Platz reserviert. So ein Glück! Und die Bedienung spricht nicht nur Englisch, sondern ist auch echt freundlich zu mir.
Als Gericht empfiehlt sie etwas, was sich als mit Gemüse gefüllter Brotlaib herausstellt. Viel zu viel – und ich esse auch zu viel davon – doch sehr lecker.
Über allem steht meine Freude, den strapaziösen Tag gemeistert zu haben – trotz aller Umstände.
Fazit: Geschafft!
Länge | Auf | Ab |
---|---|---|
30.6 km | 1011 Hm | 917 Hm |
Vaqueiros, 18.04.2025 (Karfreitag)
Gestern Abend gab es das portugiesische Nationalgericht Bacalhau à Brás, also getrockneten und gesalzenen Kabeljau mit Kartoffeln, Ei und Oliven. Mit den beiden belgischen Frauen unterhalte ich mich noch ein wenig über die kommenden Etappen und nenne ihnen zum Abschied die Adresse dieses Blogs. Der Abend bestätigt mal wieder das Vorurteil, dass Frauen die Kommunikativeren sind.
In der Nacht wache ich schweißgebadet auf und habe unglaublichen Durst. Ob das nur am salzigen Fischgericht gestern Abend liegt? Oder habe ich insgesamt zu wenig getrunken? Egal – jedenfalls leere ich im Verlauf der Nacht eine 1,5-Liter-Flasche Wasser und nehme mir vor, noch besser auf meinen Wasserkonsum zu achten.
Die inzwischen von Blut dunkel gefärbte Blase unter dem Fußballen fühlt sich auch heute nicht gut an und so versuche ich mich noch vor dem Frühstück daran, sie anzustechen – mit leidlichem Erfolg – und danach wieder mit Blasenpflaster zu verkleben.
Im Frühstücksraum treffe ich auf die vier Belgier*innen und ein prima Frühstücksbuffet für uns, welches mich vom Regen draußen ablenkt.
Um 9:20 Uhr starte ich die heutige Etappe und bin dankbar dafür, dass es gerade trocken ist, denn so kann ich mit meinen Stöcken üben, trotz Blasenschmerz gleichmäßig zu gehen. Ich weiß, wie wichtig das ist.
Nach einer halben Stunde kommt wieder Nieselregen auf und begleitet mich durch die Bergeinsamkeit, gemeinsam mit sorgenvollen Gedanken zu den bevorstehenden, langen Etappen. Die Belgier*innen kürzen die morgige Etappe auf knapp 20 km, was ich theoretisch auch könnte, doch auch wenn das verlockend klingen mag, möchte ich den Wunsch auf eine lückenlose Algarve-Durchquerung (noch) nicht aufgeben. Zum Glück muss ich das jetzt noch nicht entscheiden.
Drei schöne Textnachrichten aus der Heimat, die mich heute Morgen erreichten, helfen mir jetzt ungemein.
Noch vor der Mittagszeit hört es auf zu regnen, und die Sonne kommt heraus. Ich setze mich auf einen Stein, wundere mich darüber, dass man, obwohl man auch über leckeres Brot verfügt, hier zwei Scheiben ungetoastetes Toastbrot mit Käse- und Tomatenscheiben sowie drei Schweinsohren und einer Birne als adäquate Wanderverpflegung ansieht und lasse mir einen Teil davon schmecken.
Dazu höre ich mein Lieblingslied des Tages ein paar Minuten lang in Dauerschleife und wandere weiter.
An der nächsten Bachüberquerung beschert mir ein wegrutschender Stein ein überraschendes Fußbad – jedoch bin ich geschickt genug, ein Vollbad zu vermeiden.
Als ob der Schreck einen Schalter umgelegt hätte, fühle ich mich mit einem Mal saustark und enorm leistungsfähig.
Ich stürme den Berg hinauf und murmele ****-it. Darüber bin ich selbst überrascht, weil dies nicht meinem Sprachschatz entspricht. In genau diesem Moment bin ich richtig auf dem Weg angekommen. Und ich weiß auch, wieso (erst jetzt). Diese kraftvolle positive Stimmung hält auch an, als wenig später der Regen wieder einsetzt und ich richtig nass werde.
Einige Kilometer darauf streife ich Casas Baixas und gönne mir an einem Zitronenbaum, unter dem Massen an ungenutzten Früchten liegen, eine Erfrischung. Die dickschalige Zitrone ist zwar sauer, doch auch ohne zusätzlichen Zucker sehr angenehm essbar.
Schon kurz nach 13 Uhr erreiche ich mein nach kalter Suppe klingendes Tagesziel Cachopo.
Hier gibt es, besonders während der Siesta, gar nicht einmal so viel zu erleben und zu entdecken. Immerhin stoße ich auf einen geöffneten Mini-Market, in dem ich ein paar Kekse kaufe und wo ich mir morgen früh vielleicht noch eine Banane holen kann. Ab etwa neun Uhr möchte man öffnen, sagt mir die Inhaberin.
Da es schon wieder zu regnen beginnt, gehe ich in die „Bar das Palmeiras“, wo zunächst einmal drei Hunde aus der Gaststube vertrieben werden, weil sie mir nicht besonders freundlich gesonnen sind. Im schlichten Gastraum sind nur drei alte Männer, die den Tag mit Kaffee und Schnaps bekämpfen. Alles ist hier nicht nur alt und abgenutzt, sondern auch unglaublich schmutzig. Vielleicht sollte ich auch besser einen Schnaps trinken?
Während ich warte, kommen und gehen andere Gäste und ich kann die lautstarke Lebensart studieren, die mir so fremd ist und bleibt.
Der Taxifahrer holt mich überpünktlich um 15:30 ab und fährt mich zurück nach Vaqueiros. Dabei lerne ich die Landschaft aus einer anderen Perspektive kennen. Wir passieren ein großes Umspannwerk, welches vermutlich mit den weitläufigen Solarflächen und den vielen Windrädern in Zusammenhang steht. Gerne würde ich den Fahrer besser verstehen und mehr darüber erfahren. Insgesamt ist das ein Aspekt dieser Reise, der mir etwas abgeht – nämlich all das über Land, Leute und Leben zu erfahren, was ich mir nicht selbst durch Beobachtung und mein Wanderbuch erschließen kann.
In der Unterkunft hole ich den Waschtag nach und entspanne mich ein wenig, bevor ich zum Abendessen gehe.
Länge | Auf | Ab |
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14.8 km | 450 Hm | 300 Hm |
Furnazinhas, 17.04.2025
Das gestrige Abendessen war hervorragend und bestand aus einer Vorspeise, leckerer Karotten-Kürbissuppe, sehr schmackhaften Rigatoni mit Wildbrokkoli und Pilzen und Obst zum Dessert.
Nach dem Essen im kalten Panorama-Bau ging ich früh ins Bett und brauchte lange, bevor mir wieder warm war und ich in einen tiefen Schlaf sank.
Ich erwache und der Blick über die Landschaft ist trübe, wolkig und nass. Im Zimmer ist es kalt und meine Klamotten sind noch so feucht, dass ich sie nicht anziehen kann. Beim Unterhemd helfe ich noch mit dem Föhn nach – bei Hemd, Socken und Unterhose muss heute wohl die Abendgarderobe zum Wandern an den Start.
Ich mag die gerade herrschende feuchte Kälte nicht und fühle mich zudem einsam.
Ich lese eine liebe Nachricht aus der Heimat mehrfach und ich gehe, schon etwas aufgebaut, zum schön hergerichteten Frühstück im ungeheizten Panorama-Bau. Beim Weg hinüber bemerke ich, dass es draußen kaum kälter ist als drinnen. Ich bin so froh, dass ich ein langes Merino Unterhemd mitgenommen habe, welches ich jetzt unterziehe und beim Frühstück nicht frieren muss. Wie meine Gastgeberin von gestern bereits anmerkte, sind die Häuser für die Temperaturen im Sommer mit 40+ Grad gebaut.
Als ich nach dem Frühstück in mein Schlafzimmer zurückkomme, hat die Klimaanlage, die ich vorher angeschaltet habe, etwas Wärme produziert und glücklicherweise ist mein Hemd nun immerhin so trocken, dass ich es ein paar Minuten föhne und dann anziehe. Die Restfeuchtigkeit muss jetzt halt am Körper trocknen, während Unterhose und Socken luftig am Rucksack abhängen dürfen. Es ist schon 9:45 Uhr, als ich mich auf den Weg mache und ich genieße es, auch heute wieder zeitlich selbstbestimmt sein zu dürfen.
Obwohl der Himmel heute bedeckt ist, ist mir schon bald warm genug, dass ich in Hemd und kurzer Hose wandern kann.
Der Weg verläuft in ständigem Auf und Ab durch die hügelige Landschaft. Überall blüht es weiß, gelb, lila, schön! Da sich ein Bein für heute Unterstützung gewünscht hat, wandere ich mit Stöcken in der Hand vollkommen gleichmäßig voran. Die Wirkung ist somit noch meditativer als ohnehin. Heute ist ein Tag für die Seele.
Unweit des kleinen Sees „Barragem das Preguiças“, an dem sich Vögel und Frösche lautstark amüsieren, finde ich einen Picknicktisch, den ich gerne nutze. Das heutige Lunchpaket besteht aus einem kleinen Käsebrötchen, einem trockenen, vermutlich selbst gebackenen, leckeren Teigring und je einem kleinen Apfel und Birne. Das ist definitiv nicht zu viel, sondern vermutlich genau richtig.
Da ich mich hier nicht so ernähren kann, wie ich gerne möchte, habe ich ohnehin das Gefühl, zuzunehmen. Nach dem Essen lege ich mich ein paar Minuten auf den Tisch und genieße die Ruhe.
Weiter geht’s und bald darauf durchquere ich mal wieder einen kleinen Ort. Ich sehe eine alte Frau und wenige gepflegte Häuser - direkt neben anderen verfallenen und teilweise eingestürzten Gebäuden. Alles wirkt ausgestorben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein wenig traurig macht mich das schon. Ich wandere weiter und so vergehen die nächsten Stunden in der Einsamkeit des Hinterlands.
Eine gute Stunde vor meinem Tagesziel Vaqueiros erreiche ich einen stählernen Aussichtsturm, an dem der TÜV seine helle Freude hätte. Etwas unwohl ist mir schon, als ich hinaufsteige – andererseits steht er nicht erst seit gestern – und die Aussicht ist toll.
Toll, finde ich auch, dass mein lokaler Reisepartner sich genau jetzt per WhatsApp meldet und fragt, wie es mir gehe und mir zudem noch eine gute Nachricht für Ostersonntag überbringt.
Das letzte Stück des Weges zieht sich unglaublich und als ich eine Straße quere und den Ort in weiter Ferne sehe, obwohl ich schon bald ankommen möchte, will ich gar nicht glauben, dass ich noch so weit laufen soll. Doch – ich soll.
In Vaqueiros gibt es genau ein Restaurant mit zugehörigen, schön zurechtgemachten Unterkünften in der Nebenstraße.
Im Garten des Restaurants sitzen die vier mir bekannten Belgier, und wir unterhalten uns über unseren Tag.
Sodann führt mich die uralte Inhaberin wortlos in eines der Häuser und versucht mir dort zu erklären, wo und wann es Abendessen und Frühstück gibt. Ich übersetze das Verstandene mit Google Translate rückwärts und sie nickt daraufhin. So geht’s auch.
Ich gönne mir sofort und noch vor der Dusche erst einmal einen Galão. Ich nehme mir die Zeit, denn nach dem Wäsche-Trocken-Fiasko von heute Morgen ist es mir egal, wie meine Sachen morgen riechen, und ich beschließe, dass heute kein Waschtag ist.
Heute bin ich wahrlich platt. Es sollte mich eigentlich nicht überraschen, denn heute ist der dritte Wandertag und die Strecke hatte es in sich. Meine Blase unter dem Fuß, die auch abgeklebt die Wanderfreude nicht steigert, hat vermutlich auch ihren Teil dazu beigetragen. Hoffentlich geht’s morgen wieder besser.
Fazit: Trotz Zipperlein und holprigem Start war heute ein guter Tag. Wenig Abenteuer – viel Gefühl.
Länge | Auf | Ab |
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24.1 km | 393 Hm | 383 Hm |
Alcoutim, 16.04.2025
Ich wälze mich von einer Seite auf die andere. Es ist auch unter zwei Decken nicht besonders warm, doch hauptsächlich liegt es an dem Essen, dass ich so schlecht schlafe. Zu süß, zu fett und viel zu salzig – das bekommt mir nicht so gut.
Endlich schlägt die Kirchturmglocke siebenmal. Ich wundere mich, dass es noch so dunkel ist, und beim Blick auf die Uhr wird mir klar, dass es die Kirche vom anderen Ufer sein muss, die ich gehört habe. Also noch eine Stunde liegen bleiben.
Es ist so neblig-feucht, dass die Sonne beim Aufgang nur schemenhaft sichtbar ist. Ich vermute, dass heute ein feuchter Tag werden könnte. Glücklicherweise habe ich gestern wohlweislich nur die Unterwäsche gewaschen und die ist jetzt fast trocken.
Beim Frühstück habe ich eine halbe Stunde Vorsprung vor den aus Antwerpen stammenden Belgiern. Dabei tausche ich mich noch einmal mit meiner Gastgeberin aus. Dass sie erst 73 Jahre alt ist, hätte ich nicht gedacht. Vielleicht liegt es am sonnenreichen Klima, dass sie älter aussieht. Der Sohn des gestrigen Taxifahrers spricht deutlich besser Englisch und bringt mich wieder nach Balurcos de Baixo, wo ich meine kurze Wanderung um 9 Uhr starte.
Obwohl ich Hemd und Pulli trage, ist mir bei windigen 12 Grad kalt. Immerhin ist es im Moment trocken und bald wird die Sonne den Kampf mit den Wolken gewinnen.
Heute steht die kürzeste Etappe überhaupt auf meinem Plan, was mir den Mut gibt, es mit der Originalroute, genauer gesagt der nur kurzen Umgehung am Foupana-Fluss zu versuchen, statt die weiträumige Umgehung über Landstraßen zu nutzen, wie sie mein lokaler Reiseanbieter vorschlägt. Außerdem meinte mein gestriger Fahrer, dass dies seit etwa zwei Wochen möglich sei. Da ich heute bis zu meiner Unterkunft wandere und keinen Transfer mehr benötige, fühle ich mich richtig frei.
Schon nach einer Stunde strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel, und ich erfreue mich der blühenden Natur. Die Blüten der Zistrosen sind vom gestrigen Starkregen etwas mitgenommen und stehen farblich so schön im Kontrast zum lila blühenden Lavendel und den vielen, verschiedenen Gelbtönen der Blumen und Büsche. Ein paar vereinzelte Vögel singen. Das Summen der Bienen. So ruhig. So schön. So friedlich.
In dem kleinen Weiler Palmeira steht eine bequeme Bank in der Sonne, und obwohl ich noch nicht müde bin, mache ich eine Pause. Im Ort wohnen nicht nur einige Hühner, sondern zumindest auch ein altes Paar. Der Mann geht nämlich gerade zum Müllcontainer und spricht ein paar Sätze zu mir. Inzwischen verstehe ich immerhin schon das Wort für „heute“ und „Regen“. Vom Wortstamm mag das Portugiesisch mit dem Spanischen verwandt sein, doch die Aussprache ist vollkommen anders.
Ich schiele schon einmal in mein Lunchpaket und finde ein Sandwich mit Omelett, Tomatenscheiben und Salatblättern. Und eine Orange. Es sieht sehr lecker aus, doch jetzt ist es noch viel zu früh dafür.
Weiter geht’s, und während Quellwolken rasant den Himmel bedecken, erreiche ich die Autobahnbrücke, die über das Foupana-Tal führt. Nun prüfe ich die im Führer angegebene Möglichkeit, mich (verbotenerweise?) durch den Zaun zu zwängen, um auf die Fahrbahn zu gelangen und über die Autobahnbrücke das andere Ufer zu erreichen. Einfach nur, um meine Optionen zu kennen. Ja – das könnte klappen, doch Lust habe ich darauf bestimmt nicht.
Da ich den Fluss „richtig“ überqueren möchte, wandere ich hinab zum Fluss und begutachte die markierte Stelle zur Flussquerung und beschließe, zur alternativen Stelle weiterzugehen. Dabei sehe ich, wo der Weg auf der anderen Seite abbiegt und das Tal verlässt. Wie auch immer ich es anstelle – dort muss ich nachher entlang.
Ich gehe unmarkiert weiter, orientiere mich an niedergetretenem Gewächs, gelange auf eine steinige Schwemmebene und bevor es nicht mehr weiterzugehen scheint, finde ich eine Stelle, bei der das gegenüberliegende Ufer okay aussieht. Und der Fluss dazwischen auch. Nun verpacke ich meine Hose und die im Rucksack befindliche Kleidung sowie meine Schuhe wasserfest. Eine Probedurchquerung zeigt mir, dass ich knapp knietief eintauche und auch die Strömung und die Algen okay sind. Zum Glück habe ich meine Adiletten und Wanderstöcke dabei.
Am anderen Ufer trockne ich mich ab und ziehe mich wieder an. Und jetzt beginnt das Problem.
In Ufernähe ist alles so stark bewachsen, dass an ein Durchkommen nicht zu denken ist – Spuren gibt es auch keine. Ich umgehe diese Stelle, wobei es mich mehr und mehr den Berghang hinaufzieht. Die Aussicht von hier ist zwar wunderschön, doch die wilde Vegetation ist hier nicht nur schön, sondern vor allem wild. Immer öfter quetsche ich mich nun durch Gestrüpp, folge Wildspuren(?), um dann von undurchdringlicher Wildnis gestoppt zu werden. Wieder und wieder umgehe ich diese und steige den steiler werdenden Hang höher und höher hinauf, ohne meinem Ziel merklich näherzukommen. Zwar kann ich mich dank GPS und Aussicht orientieren, doch ich finde keine Möglichkeit zu meinem Weg durchzudringen. Bilder aus meiner frühen Kindheit, mit beim Wandern plötzlich endenden Pfadspuren spülen sich in mein Hirn …
Es dauert eine lange halbe Stunde, bis mir klar wird, dass ich mich hoffnungslos verstiegen habe, ich zudem alleine unterwegs bin und das Terrain, in dem ich mich bewege, objektiv nicht gänzlich ungefährlich ist. Die einzig sinnvolle Lösung liegt in der Umkehr.
Also ringe ich mich zu dieser Entscheidung durch und steige mühsam und vorsichtig wieder hinab in Richtung Fluss. Dabei entdecke ich alternative, geeignetere Stellen zur Flussquerung. Schließlich gelingt es mir sogar einen Lösungsweg zu finden, der mir eine erneute Flussquerung erspart.
Als ich endlich den markierten Weg erreiche, schlage ich mental drei Kreuze. Dankbar dafür, dass ich abgesehen von leicht verkratzten Beinen unversehrt hier stehen darf, lasse ich mich hungrig nieder. Tut das gut!
Nachdem ich mich gestärkt habe, stapfe ich nun den Hügel hinauf, passiere einige Bienenkästen und werde plötzlich von riesigen Viechern angegriffen. Ich bin völlig überrascht, denn einerseits sind diese Tiere viel größer als normale Bienen – eher so groß wie Hornissen – und Bienen gegenüber bin ich normalerweise extrem entspannt und hatte auch noch keine negativen Erfahrungen. Ich flüchte und erreiche bald die Häuseransammlung Corte Velha, die ich unter Hundegebell durchquere. Und jetzt nehme ich wahr, dass ich schon geraume Zeit gar nicht mehr bei mir bin.
Bei der nächsten Gelegenheit setze ich meinen Rucksack ab, breite meine Plane aus, lege mich hin und verweile. Ich schließe die Augen. Lausche. Atme. Finde wieder zu mir.
Das letzte Stück bis zum Zielort Furnazinhas genieße ich wieder. Im Ort sitzen an einem zentralen Ort fünf alte Menschen und scheinen zu warten. Doch worauf? Eine Szene und Gesichter wie aus dem Bilderbuch, doch natürlich kann ich sie nicht fotografieren. Ich grüße nett und einer der Männer fragt mich etwas. Ich trete näher, blicke in ein lächelndes Gesicht mit nur einem Zahn und signalisiere Unverständnis. Ich sage auf Portugiesisch, dass ich kein Portugiesisch spreche. Er kann ein paar Brocken Französisch und will wissen, wo ich schlafe. Ich gebe Auskunft und daraufhin deutet er auf einen Weg querfeldein den Hügel hinauf, denn meine Ferienwohnung, von der ich glücklicherweise die GPS-Koordinaten besitze, liegt außerhalb.
Vorbei an einem grimmig bellenden, doch trägen Wachhund folge ich dem teils verwachsenen Weg und erreiche schließlich meine Unterkunft.
Ich werde von zwei gut Englisch sprechenden Frauen empfangen und herumgeführt. Sie fragen mich nach meiner Foupana-Überquerung und erzählen dann, dass gestern ein anderer Wanderer genau das Gleiche erlebt habe.
Hier ist es wirklich sehr schön – wenn es wärmer wäre, könnte ich es allerdings noch mehr genießen.
Vor traumhafter Kulisse befindet sich ein Infinity-Pool. Obwohl das Wasser nur 16 Grad kalt ist, lasse ich es mir nicht nehmen, hineinzusteigen und ein Foto zu machen. Die Badedauer ist das Gegenteil von Infinity, und irgendwie muss ich mir noch ein Lächeln ins Gesicht retuschieren. Die Mundwinkel sind wohl eingefroren.
Nun gönne ich mir eine kurze, heiße Dusche – wasche das Nötigste und freue mich mit einer Tasse heißem Tee auf die Nudeln mit Gemüse, die man mir zum Abendessen versprochen hat.
Länge | Auf | Ab |
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16.6 km | 368 Hm | 361 Hm |
Alcoutim, 15.04.2025
Beim gestrigen Restaurantbesuch gelang es mir, aus Vorspeisen und Beilagen ein leichtes und schmackhaftes Abendessen zu kombinieren – denn originär gab die Karte überhaupt nichts Vegetarisches her. Und das Thunfisch-Steak, welches ich gerne alternativ gegessen hätte, war schon aus.
Ich schlafe tief und träume süß, doch, als ich morgens um 5 Uhr aufwache, höre ich draußen Geräusche, die ich ganz bestimmt nicht hören möchte. Regen. Heftiger Regen. Wieso habe ich eigentlich meine Regenhose nicht mitgenommen?
Ich kuschele mich erneut in die Federn, lasse schöne Gedanken vorbeiziehen und als ich um 7 Uhr aufstehe, überrascht mich eine wunderschöne Morgenstimmung über dem Fluss.
Zum Frühstück bekomme ich Rührei von eigenen Hühnern, rustikales Brot, Käse, Joghurt und zwei schon geschälte Orangen, die ich unbedingt mit Zimt probieren soll.
Mein lokaler Reiseveranstalter überschlägt sich bisher nicht in Organisationskompetenz, und es ist der Frau unglaublich unangenehm, dass sie heute kein Lunchpaket für mich hat. Sie zeigt mir eine E-Mail, aus der hervorgeht, dass sie sogar bei der Agentur nachgefragt hat, ob heute wirklich kein Lunchpaket nötig sei. Ich versichere ihr, dass das kein Problem sei, denn einerseits bekomme ich so viel Brot zum Frühstück, dass ich locker drei Scheiben mitnehmen kann und außerdem komme ich heute sogar an einer Bar vorbei, bei der es zumindest einen Kaffee geben sollte. Sie holt mir von zu Hause sogar noch zwei Orangen und eine schon gewaschene Tomate, die ich mitnehmen kann. Schon ziemlich perfekt.
Wir „unterhalten“ uns herzlich und ich erfahre einiges über ihre Familie, Schicksalsschläge und ihre Einstellung zum Leben auf dem Land. Obwohl mit Google Translate vieles auf der Strecke bleibt, fühle ich mich ihr nahe.
Mit dem 9 Uhr Glockenschlag beginne ich meine Wanderung, gehe zur Bootsanlegestelle, bestaune die Wandertafel und freue mich über die Sonne.
Es tut so gut, endlich loszugehen, und ich genieße es unglaublich, vorbei an zart lila blühenden Judasbäumen und strahlend weißen Häusern den Ort Alcoutim zu verlassen.
Oberhalb des Flusses wandere ich durch die Landschaft und erfreue mich des Blütenmeers aus Zistrosen und anderer mir unbekannter Gewächse. Die Vögel singen laut, doch ansonsten stört kein Ton, diese unglaublich friedliche Stille. Noch habe ich mein Tempo und meine innere Ruhe nicht gefunden, doch ich bin auf einem guten Weg.
Nach knapp 2 Stunden, die ich aus vollem Herzen genieße, erreiche ich den kleinen Ort Cortes Pereiras. In den Gärten wachsen reife Orangen, Zitronen, Mispeln und (unreife) Feigen. Das täglich geöffnete Café ist geschlossen, wodurch mir eine Pause erspart bleibt. Hervorragend markiert und von lautem Hundegebell hinter Zäunen und Mauern begleitet, durchquere ich den Ort. Bald darauf verabschiedet sich der bisher gemeinsam verlaufende Jakobsweg.
Zur Mittagszeit erreiche ich die Menhire von Lavajo, welche seit etwa fünfeinhalbtausend Jahren hier herumstehen. Ich entschuldige mich für meine Ignoranz, doch ich kann diesen Grenzsteinen und/oder heiligen Städten nichts abgewinnen. Ganz anders verhält es sich mit dem Prachtexemplar der an der nächsten feuchten Stelle wachsenden Zantedeschie (- auch Calla genannt -). Dabei öffnet sich mein Herz.
Blöderweise sind inzwischen schwarze Wolken am Himmel aufgezogen und ein sehr kühler Wind setzt ein. Ich erreiche einen kleinen Ort und mache einen Umweg zum Kulturzentrum, wo es ein Café geben soll. Dieses ist laut Führer nur unregelmäßig geöffnet und heute, wenig überraschend, geschlossen. Auf der winzigen, überdachten Terrasse laden drei Stühle zur Pause. Das tut gut.
Ich mache Pause und bin noch am Essen, als eine Frau und zwei Arbeiter erscheinen und den Kulturraum aufschließen und mich einladen, gerne drinnen Platz zu nehmen, wo sie ihre mitgebrachten Sandwiches verspeisen. Ich gebe mir Mühe, zu kommunizieren, doch die Sprachbarriere ist aufgrund des nicht vorhandenen Mobilfunknetzes extrem hoch.
Der Himmel scheint ein Einsehen zu haben, und die dunkle Wolke ist weitergezogen. Munter stapfe ich weiter durch das Blütenmeer – meiner ersten Flussquerung entgegen.
Ich nähere mich von oben dem Fluss und bereite mich schon darauf vor, hüft- oder zumindest knietief durchs Wasser waten zu müssen, doch als ich an der Furt ankomme, kann ich problemlos trockenen Fußes ans andere Ufer balancieren.
Nachdem diese Hürde überwunden ist, wandere ich tiefenentspannt weiter und lasse meinen Füßen und Gedanken freien Lauf. Es ist so schön, einfach nur zu sein.
Und so ziehe ich die Regenjacke an und wieder aus, überquere ein paar Bäche und eine weitere Ortschaft und ruhe in mir selbst. Die Zeit vergeht wie im Fluge.
Irgendwann höre ich lautes Donnergrollen, und wenige Minuten später fallen erste Tropfen, aus denen innerhalb einer halben Minute ein prächtiger Gewitterregen wird. Ohne zu zögern, reiße ich mir den Rucksack von den Schultern, springe in meine Regenjacke und meinen Regenrock vom Dualen System Deutschland (auch als Gelber Sack bekannt – den ich zum Glück schon unten aufgeschnitten habe) und spanne meinen Schirm auf. Es gießt schätzungsweise drei oder vier Minuten wie aus Eimern, bevor der Spuk vorbei ist. Hätte ich nicht so schnell reagiert, wäre jetzt kein trockener Faden mehr an mir.
An das Gehen mit Rock muss ich mich noch gewöhnen und entweder kleinere Schritte machen oder doch noch einen Schlitz einbauen. Und doch ist solch ein Rock praktisch – in Europa außer in Schottland für Männer allerdings bis jetzt nicht so recht akzeptiert. Schade eigentlich.
Abgesehen von einem Nest von Pinienprozessionsspinnern (Danke an mein WhatsApp-Netzwerk) erreiche ich ohne besondere Vorkommnisse den Endpunkt meiner heutigen Wanderung – die Bushaltestelle in Balurcos de Baixo. Gerade mal eine halbe Stunde, bevor ich um 16 Uhr abgeholt werden soll. Auch in diesem kleinen Ort wimmelt es vor verlassenen, verfallenden Häusern. Hier im Hinterland leben fast nur noch alte Menschen, denn die Jungen ziehen in die Stadt.
Kann man es ihnen verdenken?
Da jemand an dem Müllsammelplatz an der Bushaltestelle seine Stühle entsorgt hat, kann ich jetzt schön in der Sonne sitzen und werde schon 15 Minuten vor der vereinbarten Zeit mit dem Taxi abgeholt und in meine Unterkunft gefahren.
Ich will gerade auf der überdachten Terrasse einen Tee kochen, da überrascht mich das Gewitter erneut – jetzt sogar mit ausgeprägtem Hagel. Mir reicht's jetzt mit kalt und nass und daher gehe ich nun duschen.
Ich mache mich auf den Weg zum Abendessen und stoße im Aufenthaltsraum auf die vier heute eingetroffenen Wanderer und meine Gastgeberin. Sie bedauert, dass ich nicht früher gekommen sei, denn sie hätte Tee für uns gemacht. Den kann ich ihr einfach nicht ausschlagen und zwei Scheiben „Armer Ritter“, die sie dazu gemacht hat, auch nicht. Wo soll das nur hinführen?! Und natürlich schaue ich mir auch noch ein paar weitere Bilder von ihren Kindern und Enkeln an.
Jetzt aber Abendessen! Nachdem ich gestern in dem laut meiner Gastgeberin besten Restaurant gewesen bin, gehe ich heute in das zweitbeste. (Das andere hat Ruhetag.) Rückblickend kann das eigentlich nur bedeuten, dass es nur zwei Restaurants im Ort gibt, oder meine Gastgeberin in keinem der anderen war.
Im nackten Gastraum werden auf einer Tischreihe Gemüse, Gebäck und Vorräte verkauft, und das Essen bleibt sowohl geschmacklich als auch qualitativ um Längen hinter dem gestrigen zurück. Und da spreche ich nicht von dem Galão mit saurer Milch – das kann bei diesem Wetter passieren. Lichtblick ist nur die verhältnismäßig gut englisch sprechende junge Bedienung und das superschnelle WLAN.
Die Belgier aus meiner Unterkunft treffen bald nach mir ein und so erfahre ich, dass sie morgen mit Etappe 3 starten und insgesamt fünf Tage unterwegs sein wollen. Zwei weitere Gäste scheinen auch noch Wanderer zu sein – ganz so selten wird die Via Algarviana also doch nicht begangen, auch wenn ich heute keiner Menschenseele begegnet bin.
Fazit: Heute war ein wunderschöner Auftakt und ich fühle mich hervorragend. So darf es gerne weitergehen. Gerne sogar noch trockener.
Länge | Auf | Ab |
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25 km | 537 Hm | 369 Hm |
Vila Real de Santo António, 14.04.2025
Ich bin überrascht, wie ruhig es in der Nacht war und werde tatsächlich durch Vogelgezwitscher geweckt. Und während ich bei offenem Fenster geschlafen habe, ist meine frisch gewaschene Unterwäsche auf der davor gespannten Leine getrocknet. Eine Wäscheleine, sogar inklusive einiger Klammern, auf dem Balkon zu haben ist etwas, was ich mir viel öfter wünsche. Und je hochpreisiger die Unterkunft ist, desto unwahrscheinlicher ist es, diesen Luxus vorzufinden.
Ich begebe mich in ein kleines Café direkt um die Ecke und traue mich, meinen Galão und ein süßes Etwas zu verspeisen. Dann erst sehe ich, dass es auch belegte Brötchen gibt. Von ChatGPT lasse ich mir erklären, was ich bestellen muss und wie man das ausspricht, und tatsächlich bringe ich die richtigen Schlüsselwörter und ein Lächeln über die Lippen, um ein Weißbrötchen mit etwas Margarine und eineinhalb Scheiben einfachen Käse zu bekommen.
Die südländisch laute Kommunikation ist gewöhnungsbedürftig, doch obwohl ich kein Wort verstehe, scheint der Umgang positiv und freundlich zu sein. Das System, wie bei einem Teil der Kunden an der modernen Registrierkasse vorbei kassiert wird, verstehe ich sofort.
Unvermittelt kommt eine Gruppe Menschen mit Flugblättern, einer Portugal-Fahne und einem Anzugträger herein. Sie begrüßen die Leute, schütteln Hände und verteilen die Zettel mit „Salva Portugal“. Manche erkennen, dass ich für Wahlwerbung eher weniger empfänglich bin – andere nicht – und so wird auch mir die Hand geschüttelt. Bei so viel „Volksnähe“ schwant mir, um welche politische Richtung es sich handelt und in der Tat entpuppt sich der Anzugträger als André Ventura, Vorsitzender der Partei Chega! - also quasi der Björn Höcke der portugiesischen AfD.
Nach 5 Minuten ist der Spuk vorbei – zumindest im Café.
Nun kaufe ich mir frisches Wasser, denn den Luxus, das gechlorte Leitungswasser nicht trinken zu müssen, gönne ich mir so lange wie möglich und kehre ins Zimmer zurück, um mein Zeug zu packen und am späten Vormittag auszuchecken. Mein Bus fährt erst um 13:30 Uhr und da ich die Sehenswürdigkeiten der Stadt schon besucht habe, bleiben fast drei Stunden totzuschlagen. Bei Traumwetter eine verhältnismäßig einfache Übung, doch es kribbelt mir in den Füßen und ich möchte wandern.
Am Hafen sehe ich den Wegweiser des GR13, auf dem Alcoutim mit 65 km angegeben ist. Zum Glück wusste ich nichts von diesem Weg – so wie ich mich kenne, hätte ich zumindest überlegt, auch noch dorthin zu wandern.
Stattdessen lasse ich mich auf einer Bank mit Blick auf den Grenzfluss nieder, zippe meine Hosenbeine ab und bringe die Sonnencreme erstmals zum Einsatz. Und genieße es.
Selbstverständlich schlendere ich doch noch durch die Fußgängerzone, die an einem Werktag deutlich belebter ist als gestern, bevor ich mich zur Bushaltestelle begebe. Das Scannen des Tickets erzeugt beim Fahrer seltsame Geräusche und die Diskussion über dessen Gültigkeit verläuft ziemlich einseitig. Ob aus Überzeugung oder Resignation – ich darf mitfahren. Das Ticket für die einstündige Fahrt kostet knapp 6 EUR.
Als wir aus VRSA herausfahren, wundere ich mich über die großen, in Becken eingeteilten Wasserflächen mit weißen „Schneebergen“ dazwischen. Nach kurzem Überlegen wird mir klar, dass hier offenbar Salz aus Meerwasser gewonnen wird.
Der rasante Fahrstil des Kleinbusfahrers und der unangenehme Körpergeruch des hinter mir sitzenden, ungepflegten und nach Alkohol riechenden Mannes sind keine gute Kombination. Zwar gurte ich mich möglichst fest an und versuche die Achterbahnfahrt durch die hügelige und bunt blühende Landschaft zu genießen, doch als ich gegen 15 Uhr endlich in Alcoutim aussteigen darf, ist mir richtig übel.
Ich quatsche die Deutsch sprechende Frau an, die auch mit Rucksack aussteigt, doch sie ist keine Fernwanderin und möchte lediglich Urlaub bei einer Freundin machen.
Da der Busfahrer nicht bei der von mir gebuchten Haltestelle angehalten hat, darf ich nach Gespräch mit der vermeintlichen Wanderin den Berg zu meiner Unterkunft wieder hinaufsteigen. Na ja – Etwas Bewegung schadet mir bestimmt nicht. Und dank meiner hervorragenden Sprachkenntnisse schaffe ich es, die Unterkunft zu finden – pünktlich zur in meinen Unterlagen angegebenen Zeit. Dort werde ich von einer verschlossenen Tür empfangen. Der Anruf bei der angegebenen Telefonnummer landet auf einem Anrufbeantworter und der Anruf bei meinem lokalen Reiseveranstalter auch. Beim nächsten Versuch 10 Minuten später habe ich mehr Erfolg und erfahre, dass ich in 1 Stunde einchecken kann. Ich gehe also wieder ins Zentrum hinab, erfreue mich an den farbenfrohen Zitronen- und Mispelbäumen, um dann mit herrlichem Blick auf den Guadiana-Fluss und das auf der anderen Flussseite liegende Dorf abzuwarten und Galão zu trinken. Ich will nicht jammern, denn es ist trotz der dunklen Wolken am Himmel immer noch trocken, angenehm warm und wunderschön hier. Die lokale Gelassenheit darf ich noch etwas mehr verinnerlichen.
Um 16 Uhr ist immer noch niemand da, doch bald danach wird eine kleine, alte und sehr freundliche Dame vorgefahren. Sie spricht fließend Portugiesisch und kann zum Glück Google Translate noch besser bedienen als ich. Sie führt mich herum und wir einigen uns auf die Frühstückszeit (7:30 Uhr) und empfiehlt mir zwei Restaurants für das Abendessen. Das Haus ist riesig und heute werde ich es für mich alleine haben – morgen treffen vier weitere Wander*innen ein.
Im ganzen Haus riecht es muffig-schimmelig, und wenn ich mir eine Wand in meinem Zimmer anschaue, weiß ich, wieso. Ich mache die Fenster auf und hoffe, dass mir das keine größeren Probleme bereitet, denn ich bin diesbezüglich etwas empfindlich.
Von meinem lokalen Reiseveranstalter wurde für mich das mir schon bekannte Via-Algarviana-Kartenmaterial hinterlegt und zusätzlich drei Kopien mit eingezeichneten Umgehungen für überflutete Gebiete und eine sehr weiträumige Umgehung einer Flussüberquerung. Diese Informationen sind neu für mich und ich bin sehr gespannt auf die Wanderung und habe gleichzeitig Bammel.
Ich erledige meine Wäsche und will gerade aufbrechen, um ohne Rucksack das Dorf mit seiner Burg zu erkunden, als es anfängt, kräftig zu regnen. Lieber soll es das jetzt, als morgen während der Wanderung.
Faro, 13.04.2025
Mein kleines Zimmerchen, welches sich „Suite“ nannte, war stilvoll und hochwertig ausgestattet und lag direkt neben einem Lokal, aus dem bis weit in den Morgenstunden Musik und Lebensfreude herüberschwapten. Da ich nicht mit Ohropax schlafen kann, durfte eine Einschlaf-Meditation aushelfen. Das klappte halbwegs gut.
Einigermaßen ausgeruht packe ich meinen Rucksack, in dem sich die Dinge erst noch zurechtsortieren müssen, was meist nach zwei Tagen geschieht.
Nachdem ich zwei Dosen Sardinen, eine Banane und zwei Flaschen Wasser gekauft habe, fühlt sich der Rucksack überhaupt nicht mehr leicht an.
Bei 15 Grad und blauem Himmel frühstücke ich in der Fußgängerzone. Die beste Option, die ich finde, ist ein Käse-Omelett mit in Fett gewälztem Toast. Es schmeckt nicht schlecht und ist doch so weit von dem entfernt, was ich sonst esse und von dem ich weiß, dass es mir bekommt. Ich bin gespannt.
Ich gehe zum Bahnhof und bin auch heute verblüfft, in welchem baufälligen Zustand so vieles ist. Mit einem dieselbetriebenen Zug fahre ich nun eine Stunde in östlicher Richtung der Küste entlang und genieße die Aussicht, soweit es die sehr schmutzige Scheibe zulässt. (Deshalb gibt es keine Fotos) Mein Ziel ist VRSA, was mich an den Vornamen der bekannten isländischen Schriftstellerin erinnert, jedoch hier nur die gängige Abkürzung der fast 20‘000 Einwohner zählenden Stadt „Vila Real de Santo António“ darstellt.
Aus dem eher industriellen Bahnhofsbereich von VRSA taste ich mich zu den schöneren Stadtteilen vor. Bei dem komplett aus kaltem Beton bestehenden Schulkomplex versuche ich, meine Bushaltestelle für morgen zu finden. Ich bin mir unsicher, denn nur auf einer Straßenseite gibt es eine Beschilderung an der Haltestelle. Ein junges Paar versucht rührend, mir zu helfen, doch wir scheitern an Orts- und Sprachkenntnissen. Schlussendlich gehe ich zum Busbahnhof und frage mittels Google Translate nach, ob ich mit meinem Ticket, welches ich von der falschen Start-Haltestelle gebucht habe, auch von dort fahren dürfe, was bejaht und direkt auf dem Ticket vermerkt wird. Jetzt bin ich unbesorgt und gehe zur Unterkunft. Dort frage ich telefonisch an, ob ich schon Gepäck unterstellen könne und darf dann sogar schon einchecken. Das ist hervorragend, denn ein WC und ein Bett für eine kurze Mittagsruhe kommen wie gerufen.
Nun ist es Zeit, in der Fußgängerzone im Zentrum, in der sich ein Touristenrestaurant neben dem anderen befindet, eine Kleinigkeit zu essen und dann die Promenade am Ufer des Grenzflusses Guadiana entlangzuschlendern. Das Wetter ist traumhaft – die dunklen Wolken haben sich inzwischen verzogen – und die Sonne strahlt bei knapp 20 Grad vom blauen Himmel.
Bald endet die Promenade, und ich befinde mich plötzlich inmitten alter, dem Verfall preisgegebener Fischereibauten. Im Restaurant der lokalen Fischervereinigung beäugt man mich überrascht und verkauft mir dann trotzdem eine Flasche Wasser. Bestimmt verirren sich nur selten Touristen hierher.
Wenig später stoße ich auf die Fahrstraße, die später als holpriger Weg zur Mündung des Guadiana ins Meer und zum dort gelegenen Strand führt.
Am Strand spielen ein paar verwegene Volleyballer – mich hingegen zieht es zum Mini-Leuchtturm am Ende der weit ins Meer ragenden Mole. Außer mir sind hier nur noch einzelne Fischer, die ihre Ruten ins Meer hängen. Und es ist nicht nur extrem windig, sondern auch atemberaubend schön, von diesem äußersten Zipfel Portugals über das grenzenlose Wasser des Atlantiks zur Sonne zu blicken.
In gut zwei Wochen möchte ich am anderen „Zipfel“ stehen, dem Kap Sankt Vincent, etwa 150 km westlich von hier.
Ich setze mich nieder und genieße!
Als ich nach einer langen Weile auf die Uhr schaue, stelle ich erschreckt fest, dass diese schon 18 Uhr zeigt und mache mich auf den 4 km langen Rückweg. Nach einer halben Stunde ist es verblüffender Weise 17:30 Uhr. Gibt es hier ein Wurmloch im Zeitkontinuum? Ich grüble darüber nach, denn dass ich mich getäuscht habe, halte ich für ausgeschlossen. Es dauert, bis der Groschen fällt und mir klar wird, dass die Zeitverwirrung damit zu tun haben muss, dass auf der gegenüberliegenden, spanischen Flussseite eine andere Zeitzone gilt und sich Uhr und iPhone automatisch verstellt haben. Das sind die Tücken der modernen Technik, die ich jetzt sicherheitshalber deaktiviere. Nicht auszumalen, deswegen den Bus zu verpassen.
Ich trinke in vor einer kleinen Pasteleria mit Einheimischen einen Galāo und esse danach noch einen Salat, bevor ich mich in mein Zimmer begebe. Mit ausbleibender direkter Sonneneinstrahlung ist es schlagartig kalt geworden – trotz Jacke.
Fazit: Ein schöner und entspannter Tag – jetzt habe ich Lust zu wandern.
Raum Frankfurt, 12.04.2025
3:21 zeigt die Uhr, als ich mich von der neuen Frau meines Herzens verabschiede und in sternenklarer Vollmondnacht zum Flughafen starte. Am Gate angekommen, habe ich die ersten 5000 Schritte des Tages hinter mir und bemerke, wie sich die Reiselust ausbreitet, die in den vergangenen Wochen von stärkeren Gefühlen meines gerade positive Kapriolen schlagenden Lebens verdrängt wurde. (Wem die letzten Sätze zu gefühlvoll sind – keine Sorge – es bleibt ein Wander-/Reise-Tagebuch)
Da ich eine kostengünstige Umsteigeverbindung über Lissabon gebucht habe, trifft mich der dichte Nebel über der Hauptstadt hart. Nicht nur sitzen wir ewig lang dumm im abflugbereiten Flieger und starten mit einer guten Stunde Verspätung, sondern nun soll ich auch noch von Lissabon aus mit dem Bus nach Faro fahren, statt zu fliegen.
Die nächsten zwei Stunden verbringe ich mit Hoffen und Bangen, denn mein Rucksack will und will einfach nicht erscheinen. Ich habe tatsächlich nur die Klamotten auf dem Leibe, meine Powerbank und ein paar Karotten dabei. Entgegen fürsorglicher Ratschlägen nicht einmal einen „Ersatz-Schlüppi“. So kann ich jedenfalls nicht loswandern.
Vielleicht ist dies die erste Übung für „Vertrauen und Loslassen“. Ich bin überglücklich, als mein Rucksack endlich auftaucht, bedanke mich überschwänglich bei den Menschen, die sich mit lokaler Gelassenheit um mich gekümmert haben, und warte eine weitere gefühlte Ewigkeit, bis der Bus kurz nach Mittag losfährt.
Zwar „verliere“ ich genau wie alle anderen im Bus gerade einen halben Urlaubstag, doch möchte ich die schlechte Stimmung nicht teilen.
Die Fahrt über die Vasco-da-Gama-Brücke, die den Tejo überspannt, ist auch bei trüber Witterung mit leichtem Nieselregen eindrucksvoll. Die Busfahrt zieht sich endlos und ich nutze die Zeit, um die aktuellen Meldungen zum Weg zu prüfen und finde für fünf Tage mir noch unbekannte Warnungen zu den Flussüberquerungen aufgrund des regnerischen März – und nur für zwei Tage Umgehungsmöglichkeiten. Ich beschließe, es auf mich zukommen zu lassen.
Viereinhalb Stunden später als geplant spuckt uns der Bus am Flughafen Faro aus, von wo aus ich mit dem Stadtbus ins Zentrum fahre. Es ist zwar sehr wolkig und deutlich unter 20 Grad warm, doch immerhin regnet es nicht.
Ich checke in der Unterkunft ein, in der man mich schon erwartet, begutachte mein Zimmerchen und mache ganz kurz Pause. Danach schlendere ich am Hafen vorbei durch die direkt am Ufer gelegene Altstadt. Diese präsentiert sich in unterschiedlichen Stadien des Verfalls – teilweise jedoch auch schon schön renoviert. Um noch mit der Fähre auf eine der vorgelagerten Inseln zu fahren, wie ich es ursprünglich geplant hatte, ist es schon zu spät. Doch auch so genieße ich es, am Atlantik zu sein.
Ich begebe mich in ein von der Unterkunft für die lokale Spezialität „Cataplana“ empfohlenes Restaurant und bestelle mir die Seafood-Version dieses Kupfertopf-Gerichts. Im Hintergrund läuft typische Musik – vermutlich Fado. Welch schöne Stimmung.
Leider wird diese bald darauf durch einen mehrfach auftauchenden, unverschämten Obdachlosen zerstört, mit dem es fast zur körperlichen Auseinandersetzung kommt.
Als ich gerade meinen Tisch räumen will, um rechtzeitig ins Bett zu gehen und diesen Bericht zu schreiben, taucht der aus Hongkong stammende und jetzt in UK lebende Student Donald auf, mit dem ich mich angeregt unterhalte, bis es richtig spät ist. Das war ein schöner Abschluss des Tages.
Fazit: Es läuft nicht immer wie geplant und das kann sich gut anfühlen.
Im April/Mai 2025 werde ich die Via Algarviana erwandern. Hierbei handelt es sich um einen Wanderweg in Portugal mit etwa 300 km Länge, der für Wanderer in 14 Etappen aufgeteilt wurde.
Die Via Algarviana entstand 1995 im Rahmen eines Ökotourismus-Projekts, welches die touristische Belebung des Hinterlands zum Thema hatte, und verläuft ausschließlich auf bereits bestehenden Land- und Feldwegen. Bei der Wegführung bemühte man sich, besonders reizvolle landschaftliche oder kulturelle Punkte einzubeziehen und mutet dem Wanderer Etappen bis zu 30 km Länge zu.
Von der Vereinigung "Almargem" ist zwar gutes Kartenmaterial und auch ein Unterkunftsverzeichnis erhältlich, doch ist die Gegend so dünn besiedelt, dass es mir ohne portugiesische Sprachkenntnisse nicht gelungen ist, Unterkünfte selbst zu buchen. Ich habe mir stattdessen einen Reisepartner gesucht, der diese Organisation für mich übernommen hat – und auch hier war es teilweise nötig, Transfers von und zum Weg einzuplanen, weil einfach keine (adäquaten) Übernachtungsmöglichkeiten vorhanden sind. Wie gut das klappt? Es wird sich zeigen.
Am 12.04.2025 geht es los, und ich werde versuchen, in gewohnter Manier täglich Berichte hier zu veröffentlichen, wobei dies aufgrund beschränkter Mobilfunkmöglichkeiten u. U. nur zeitverzögert (oder zumindest ohne Bilder) erfolgen wird.
CC BY-SA 3.0 // Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! - http://www.viaalgarviana.org
Hinweis zu KI: Hier schreibt zu 100 % Andreas - und keine generative KI. Lediglich die Rechtschreibung wird technisch unterstützt.