Schleswig, 22.06.2023

Auch heute frühstücke ich wieder bei familia und kaufe Proviant und viel Wasser für den heutigen Tag, denn es wird eine einsame Strecke ohne Versorgungsmöglichkeiten. Alles ist weniger lustig, auch weil ich die Kaffee-Größen inzwischen kenne. Dafür habe ich Sparfuchs herausgefunden, dass man mit zwei üppig belegten halben Brötchen aus dem Frühstücksmenü durch Zukauf eines „leeren“ Brötchens, welches man aufschneidet und drauflegt, sehr kostengünstig zwei ganze belegte Brötchen machen kann. Und den Kaffee hat man quasi gratis dazu.

Da ich unbedingt noch einen ToGo-Kaffee zum Mitnehmen haben möchte, frage ich vorsichtig, ob es diesen nur in den Mehrweg-Bechern gibt, oder auch als Einweg, denn ich habe keine Lust, den ganzen Tag einen Mehrweg-Becher durch die Gegend zu tragen. Dabei gebe ich mir Mühe, zumindest ein bisschen ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man das von uns möchte. Klar, das sei gar kein Problem, meint die Verkäuferin und verkauft mir den Kaffee, übrigens zum gleichen Preis wie im Mehrweg-Becher. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass sie mir versehentlich zwei ineinander steckende Becher gegeben hat und würde nun erwarten, dass sie einen zurücknimmt und diesen dem nächsten Kunden gibt. Weit gefehlt. Sie teilte mir mit, dass das Absicht sei, denn der Kaffee sei sehr heiß. Soso! Damit komme ich jetzt gar nicht klar. Brauche ich jetzt wegen der Becher ein doppelt schlechtes Gewissen? Oder reicht einfach, weil ich den zweiten Becher gar nicht wollte? Oder gar keins, weil das für Doppel-Einwegbecher nicht vorgeschrieben ist?
Eines weiß ich: Ich genieße jetzt den Kaffee.
Die leeren Pappbecher trage ich übrigens beide in Ermangelung eines Mülleimers bis zur Bushaltestelle am Abend im Rucksack mit mir.
Till Eulenspiegel würde vermutlich vor Neid erblassen.

Am Barockgarten des Schlosses, an dem ich gestern den E1 verlassen habe, setze ich ihn heute durch den Wald fort. Warum hier und heute wieder aggressive Mücken unterwegs sind, obwohl ich die letzten Tage verschont wurde, verstehe ich nicht. Zum Glück hilft hier Autan.

Kurz vor Idstedt darf ich bei strahlendem Sonnenschein 10.000 Solarmodulen bei der Arbeit zuschauen, denn der ehemalige Bundeswehr-Mobilmachung-Stützpunkt wurde 2008 geschlossen. Der heute auf dem ehemaligen BW-Gelände installierte Solarpark erzeugt 2,5 Megawatt, was dem Verbrauch von 1500 Haushalten entsprechen soll.

Mit wunderbarem Blick auf den Idstedter See mache ich auf einer schattigen Bank eine Pause. Der See liegt fast völlig glatt wie ein Spiegel vor mir, ein großer Bereich am Rand ist allerdings mit einem dünnen, grünen Schleier überzogen. Selbst wenn ich jetzt baden wollte - hier würde ich es nicht tun. Zudem soll ich heute noch an einem Freibad vorbeikommen.

Ich wandere weiter und begegne einer Frau, die mir die Gelegenheit zu etwas eröffnet, was manche als „Trail-Magic“ beschreiben.
Esther ist Spanierin und pilgert seit Anfang Juni auf dem Jakobsweg nach Süden. Begonnen hat sie in Dänemark und heute Nacht benötigt sie eine Pilgerunterkunft in Schleswig, jedoch hat sie bereits herausgefunden, dass die Pilgerunterkunft voll ist. Sie fragt mich, wo ich übernachtet habe, jedoch kann und will sie sich eine kommerzielle Unterkunft nicht leisten. Sie hat zwei weitere Telefonnummern auf einem Zettel, spricht fließend Spanisch und gut Englisch und kommt damit nicht weiter. Daher tätige ich mehrere Anrufe und werde mehrfach weiterverwiesen. Nach gut 20 Minuten hat sie ein Bett auf Spendenbasis im Gemeindezentrum, sowie die Adresse und Wegbeschreibung, wie sie dorthin kommt. Sie ist überglücklich, wiederholt mehrfach „you are my angel“ und möchte unbedingt noch ein gemeinsames Foto mit ihrem „angel“ machen. Sie motiviert mich, unbedingt durch Dänemark zu pilgern, denn mit den Herbergen und zur Not den Sheltern am Weg sei das kein Problem, denn ein Zelt hat sie nicht dabei.
Beide sind wir glücklich, wünschen uns einen guten Weg und gehen unseres Weges. Unglaublich leicht und beschwingt gehe ich, wie mit Engelsflügeln. Danke für diese tolle Begegnung. Heute hatte ich sie besonders nötig.

Schattenlos geht es nun auf Asphalt zwischen Feldern entlang und als ich endlich mal wieder in Wald bin, kommt mir ein sympathisches Schweizer Paar entgegen. Während uns die Mücken fast auffressen, schildern Sie, dass sie den dritten Tag unterwegs seien und bis nach Hause in die Schweiz wandern wollen. Bis September haben Sie Zeit. Vorgebucht haben sie nichts und bereits gemerkt, dass die Übernachtungspreise hier in Norddeutschland überraschend hoch sind. Fast wie in der Schweiz. Da die Frau von Beruf Pilgerbetreuerin ist und sie Isomatten dabeihaben, versprechen Sie sich, das ein oder andere Quartier in Gemeindezentren zu bekommen. Ich wünsche alles Gute bei der Tour!

Weiter geht es, schon wieder auf Teerstraße in der prallen Sonne. Ich habe heute extra viel zu trinken dabei und doch möchte ich nur noch in den Schatten und ankommen. Mir reicht es - Felder und Straße habe ich für heute genügend gesehen. Allerdings wandere ich auch ein Stück mehr, als eigentlich geplant, damit die Wanderung morgen etwas kürzer und entspannter ist. Nicht alles, was ich mache, ist sinnvoll.

Ich überlege schon eine ganze Weile, ob ich in Sieverstedt zuerst ins Freibad, an dem ich direkt vorbeikomme, gehen möchte und mir zumindest ein kühles Getränk genehmigen soll, oder ob ich sofort zur Bushaltestelle möchte. Die Energie für diese Gedanken hätte ich mir allerdings sparen können, denn das Freibad ist eine Baustelle und daher geschlossen.
Und was gibt es sonst im Ort? Ein paar hübsche Landhäuser stehen hier, doch ansonsten gibt es nichts Nennenswertes zu sehen.

Der Plan ist also klar - jetzt geht es direkt zur Bushaltestelle und google meint, ich könnte den stündlich fahrenden Bus auf die Minute erreichen. Das Spiel kenne ich doch schon. Auch dieses Mal klappt es und ich freue mich, in den klimatisierten Bus steigen zu können, der mich zurück nach Schleswig bringt.

Am Abend sitze ich vor famila, weil man dort bequem sitzt und ich in der Unterkunft und auch so keine Möglichkeit habe. So bekomme ich mit, wie die Polizei einen vielleicht 14-Jährigen mit Rucksack zur mitnimmt, bzw. ein Polizist mit ihm zur nahegelegenen Wache geht. Eine halbe Stunde später kommen die Polizisten wieder und erklären einem Mitarbeiter ganz in meiner Nähe, dass sie noch mehr im Rucksack gefunden haben. Ich bin neugierig, da ich eine „Lash Princess“ auch aus 5 Meter Entfernung erkenne. Und da schauen mir 2 Handvoll bester essence-Produkte entgegen. (essence ist DIE Marke für dekorative Kosmetik und stammt von meinem Arbeitgeber) Der Junge hat einmal durchs Spektrum gut abgeräumt, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass er Mascara, Foundation und Co für den Eigengebrauch abgestaubt hat. Immerhin die beste Marke gewählt. Der Polizist erklärt dem etwas überforderten Angestellten, um welchen Betrag er die Anzeige erweitert hat und staunt nicht schlecht, als ich das mit „Yo passt - ich arbeite für die Firma“ von der Seite kommentiere. 

Länge Auf Ab
24.5 km 138 Hm 146 Hm


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